Interview

Stephen Schwartz im Interview Experte: "Schmutzige Bombe" am wahrscheinlichsten

Stand: 27.08.2007 15:30 Uhr

Seit Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion befürchten Geheimdienste weltweit, dass eine sowjetische Atombombe in die Hände von Terroristen fallen könnte. Das "Gleichgewicht des Schreckens" versagt, denn Terroristen – etwa von Al Kaida – haben kein Land, an dem Vergeltung geübt werden könnte. tagesschau.de sprach mit Stephen Schwartz, er ist Herausgeber des "Bulletin of the Atomic Scientists".

tagesschau.de: Das Gespenst einer Atombombe, die von Al Kaida in einer westlichen Großstadt gezündet wird, spukt in den Köpfen zahlreicher westlicher Dienste. Wie realistisch ist dieses Szenario?

Schwartz: Ich denke, dass diese Bedrohung ernst genommen werden muss. Für sehr wahrscheinlich halte ich sie dennoch nicht.

tagesschau.de: Warum nicht?

Schwartz: Welche Motivation hätte eine korrupte Atommacht, Terroristen eine Waffe in die Hand zu geben, die am Ende gegen sie selber eingesetzt werden könnte?

tagesschau.de: Und was halten Sie dann für wahrscheinlich?

Schwartz: Am wahrscheinlichsten ist der Einsatz einer "schmutzigen Bombe". Das ist eine radioaktive Substanz, die mit einem konventionellen Sprengsatz verbunden wird. Die Bedrohung dadurch ist mehrfach: Einmal durch die Explosion, dann durch den "Fallout", also die Verseuchung eines Gebiets. Ganz wie bei einer "richtigen" Bombe, aber zu einem Bruchteil des Preises.

tagesschau.de: Die billige Variante ist aber bei weitem nicht so schädlich wie das "Original".

Schwartz: Das kommt darauf an. Eine Stadt von der Radioaktivität zu reinigen ist sehr teuer, wenn nicht unmöglich. Denken Sie an das Zentrum Londons, Tokios oder New Yorks. Wenn man da ein paar Hektar gründlich mit atomaren Partikeln verseucht, geht das in die Milliarden. Was dazu kommt: Die Angst der Bevölkerung, nach einer solchen Attacke zu erkranken. Radioaktivität ist ja nicht zu sehen oder zu riechen. Es ist gar nicht nötig, die Gebäude zu zerstören; denn es reicht ja, sie unbewohnbar zu machen. Gerade die Unsicherheit macht die schmutzige Bombe letztlich zu einer perfekten Waffe für Terroristen.

tagesschau.de: Warum haben wir dann noch keinen Angriff dieser Art erlebt?

Schwartz: Wir standen wohl mindestens einmal kurz davor: Vor ein paar Jahren haben tschetschenische Rebellen durchblicken lassen, wieviel Material für eine schmutzige Bombe sie zusammen hatten. Es soll sich um eine große Menge Cäsium gehandelt haben. Das hätte in und um Moskau eine schöne Schweinerei angerichtet.

tagesschau.de: Wie wirksam sind die Maßnahmen, die in den USA gegen die Bedrohung durch eine schmutzige Bombe ergriffen wurden?

Schwartz: Meiner Ansicht nach noch nicht wirksam genug. Es werden zwar viele Frachttransporte kontrolliert, um den Schmuggel von Nuklearmaterial zu verhindern. Ein entschlossener Terrorist kann aber immer noch etwas ins Land einschmuggeln. Man muss wohl sehr viel früher ansetzen: beim Schwarzmarkt.

tagesschau.de: Wo geht man hin, wenn man nukleares Material auf dem Schwarzmarkt kaufen will?

Schwartz: Russland und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben immer noch riesige Bestände an Sprengköpfen, die sie abrüsten wollen. Diese Bestände sind gut bewacht. Aber das Material aus den demontierten Sprengköpfen ist weniger gesichert. Und die Russen wissen angeblich noch nicht einmal, wie viel Plutonium und andere Stoffe insgesamt in ihren Lagern sein müssten. Das ist einfach nie erfasst worden.

tagesschau.de: Warum unternimmt Russland nichts?

Schwartz: Moskau hat schlicht kein Geld für eine ordentliche Erfassung und Überwachung seiner Bestände.

tagesschau.de: Was ist Ihre Erklärung für den Handel, den der Vater der pakistanischen Atombombe, Khan, in seinem Heimatland aufziehen konnte? Angeblich wechselten ganze "Bausätze" für die Bombe den Besitzer, und das mehr oder weniger mit Wissen westlicher Geheimdienste.

Schwartz: Das dürfte mit Pakistans Rolle in der Geostrategie der USA zu tun gehabt haben. Pakistan war in den 80ern Aufmarschgebiet der Widerstandskämpfer gegen die sowjetische Besatzung im Nachbarland Afghanistan. Damals haben die Pakistaner ihre erste Bombe noch entwickelt. Und die USA haben jahrzehntelang weggeschaut. Die atomare Bedrohungslage in Asien geht auch darauf zurück.

Man kann übrigens annehmen, dass nicht nur die westlichen Geheimdienste sondern auch das pakistanische Militär und die Regierung in Islamabad Bescheid wussten, welche Geschäfte Khan später mit "seiner" Technologie machte.

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de