Gedenken an Herero-Aufstand Keine Entschuldigung auch nach 100 Jahren

Stand: 13.08.2004 11:36 Uhr

Auch 100 Jahre nach der Niederschlagung des Herero-Aufstandes liegen dunkle Wolken über dem deutsch-namibischen Verhältnis. Auf Entschädigungszahlungen warten die Herero bis heute. Und das Verhältnis könnte durch die Landreform-Pläne von Staatschef Nujoma weiter belastet werden.

Von Harald Stutte

Das Vokabular klingt aus heutiger Sicht scheinbar vertraut: "Terroristische Banden" überfallen Europäer. Unschuldige Opfer - schätzungsweise 150 Siedler, Bahnarbeiter, Händler und Soldaten - fallen der "Mordorgie" zum Opfer. Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten: Die Herrschenden in Übersee schicken eine Streitmacht, die in diesem Krieg gegen den Terror keine Gnade kennt.

Was nach dem Anti-Terror-Krieg unserer Tage klingt, spielte sich vor genau 100 Jahren in der deutschen Kolonie Südwestafrika ab, dem heutigen Namibia. Völkermord nennen die einen den blutigen Feldzug, in dessen Folge bis zu 75 Prozent des Herero-Volkes und bis zu 50 Prozent des Nama-Volkes vernichtet wurden. Einen gewöhnlichen Kolonialkrieg mit zugegebenermaßen tragischem Ausgang nennt die Mehrheit der etwa 25.000 Deutsch-Namibier (etwa 1,2 Prozent der Gesamtbevölkerung) die Ereignisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Entscheidungsschlacht unter Lothar von Trotha

Vor 100 Jahren fand die "Entscheidungsschlacht" am Waterberg in Zentralnamibia statt. Die technisch hoch überlegenen kaiserlichen Truppen unter dem Kommando des als skrupellos verrufenen Generals Lothar von Trotha hatten den Hauptteil des Herero-Volkes auf dem Hochplateau eingekesselt. Eine Aufgabe der Herero schien nur noch eine Frage der Zeit.

Doch von Trotha passierte ein Missgeschick, andere glauben eher an einen kalkulierten Schachzug: Durch eine Lücke im Belagerungsring entkam der Großteil des Herero-Volkes - Frauen, Kinder, Alte und Krieger samt ihrem wichtigsten Schatz, dem Vieh -­ in die wasserlose Omaheke-Wüste. Bis zu 80.000 Menschen starben dort in den folgenden Monaten. Sie verdursteten, starben an Entkräftung, wurden von den deutschen Verfolgern getötet. Wer sich ergab, wurde niedergemetzelt. Die wenigen Wasserstellen in der Wüste wurden von der kaiserlichen Schutztruppe besetzt. "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, ob mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf", lautete der zu trauriger Berühmtheit gelangte Befehl von Trothas.

"Besondere Verantwortung", aber keine Entschädigung

In Namibia ist der Gedenktag vor allem mit der Hoffnung auf die Zahlung von Entschädigungen verbunden. Dazu ist die Bundesregierung allerdings nicht bereit. Nicht einmal zu einer offiziellen Entschuldigung war Berlin bislang zu bewegen, denn Worte können im Diplomatendeutsch teure Folgen haben. Alles, was nach Schuldeingeständnis klingt, wird vermieden.

Und so übt sich Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die zur Zeit im Namen Berlins an den Gedenkveranstaltungen teilnimmt, in Sprachakrobatik. So sprach sie von "bewusster Erinnerung" , von "besonderer Verantwortung" im "Sinne der Versöhnung". Zwar "bekennen wir uns zu unserer kolonialen Schuld", so die Ministerin, eine Entschuldigung oder gar Entschädigung gebe es aber nicht. Der namibische Menschenrechtler Phil ya Nangoloh rief die Ministerin auf, das Vorgehen der deutschen Kolonialtruppe als "Völkermord" zu verurteilen.

Namibias greiser Staatschef Sam Nujoma kann mit den deutschen Worten hingegen gut leben. Er sowie sein potenzieller Nachfolger Hifikepunye Pohamba, der nach der nächsten Parlamentswahl im November das Ruder übernehmen soll, gehören dem Volk der Ovambo an - so wie 50 Prozent der Namibier. Eine einseitige finanzielle Wiedergutmachung an die Herero-Minderheit, die ohnehin überwiegend der Oppositionspartei "Demokratische Turnhallenallianz" zuneigt, wäre nicht im Interesse Windhuks. Außerdem wird befürchtet, eine Wiedergutmachung könnte den Entwicklungshilfe-Transfer aus Berlin ins Stocken bringen. Gemessen an der Entwicklungshilfe pro Einwohner wird Namibia - verglichen mit anderen Entwicklungsländern - von Berlin am großzügigsten unterstützt.

Namibias Pläne vor den Wahlen

Staatschef Nujoma hat derzeit ganz andere Sorgen. Kurz vor den Wahlen und 14 Jahre nach der Unabhängigkeit gilt sein Hauptaugenmerk der Landreform. Anfang Mai wurden die ersten europäischen Farmer schriftlich aufgefordert, dem Staat ein Kaufangebot vorzulegen. 80 Prozent des kommerziellen Farmlandes Namibias ist in "weißer Hand" -­ ein Zustand, den die regierende SWAPO ändern möchte, zur Not auch durch Zwangsenteigung. Und schon geistert das Wort von den simbabwischen Verhältnissen durch Südwestafrika. Im Nachbarland hatte Staatschef Robert Mugabe die überwiegend weißen Farmer seines Landes terrorisieren und in wilden Aktionen enteignen lassen. Wirtschaftlicher Niedergang und Hungersnöte waren die Folge.

Deutsche betrachten Entwicklung "mit Sorge"

"In Namibia ist noch keine einzige Farm zwangsenteignet worden", versicherte Namibias Botschafter in Deutschland, Hanno Rumpf. "Die Landreform wird nach Recht und Gesetz umgesetzt", betont der Deutsch-Namibier, der auch Mitglied der regierenden SWAPO ist. "Mit Interesse und wachsender Besorgnis" nehme man die Entwicklung in Namibia zur Kenntnis, sagt ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Berlin. Schärfere Stellungnahmen behält man sich vor, falls die Situation im südwestafrikanischen Land eskalieren sollte. Noch vermeidet man alles, was nach Belehrung oder Bevormundung klingen könnte.

Das Verhältnis zwischen der einstigen Kolonialmacht und der Ex-Kolonie ­- von Normalität kann auch 100 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Herero-Aufstandes noch keine Rede sein.