Untergangsszenarien für New Orleans Die vorhersehbare Katastrophe

Stand: 26.08.2007 08:35 Uhr

"New Orleans wartet auf die Katastrophe" ist keine Schlagzeile der letzten Tage. Der Satz ist alt: Bereits im Januar 2002 schrieb ein Wissenschaftsmagazin, dass eine Katastrophe unvermeidbar ist. Das Szenario damals: Ein Hurrikan, der New Orleans bis zu sieben Meter unter Wasser setzt.

Von Ruth Helmling, tagesschau.de

New Orleans ist so etwas wie eine natürliche Badewanne. Gelegen in einer Senke, umgeben von Wasser: Lake Pontchartrain im Norden, Mississippi im Süden und im Westen. Deiche halten das Wasser davon ab, in die Stadt zu dringen. Dadurch trocknet der Boden aus und sinkt schneller ab, als er das natürlicherweise tun würde. Große Teile der Region liegen bereits unter dem Meeresspiegel. Und New Orleans sinkt weiter. Bis 2090 werde die Stadt verschwunden sein, warnten Experten der Universität von Louisiana LSU schon lange vor "Katrina". „Etwa alle zwei Stunden geht ein Hektar Land verloren“, schrieb das Magazin "Spektrum der Wissenschaft" 2002.

Mit dem Marschland um New Orleans verschwindet auch die Möglichkeit, Flutwellen abzuschwächen, bevor sie die Stadt treffen. Marschland wirkt wie ein lebendiger Schwamm. Mit jedem Stück Land weniger verliert die Stadt einen Teil ihres natürlichen Stoßdämpfers. Immer schwächere Stürme sind so in der Lage, New Orleans unter Wasser zu setzen – doch die Hurrikans werden im Gegenteil immer stärker.

Szenarien in erschreckender Genauigkeit

Ein Hurrikan der Stärke Drei würde für ein Desaster ausreichen, errechneten die Forscher der LSU in unzähligen Studien, Simulationen und Modellen. „Katrina“ hatte Stärke Vier. Auf einer Skala von 1 bis 5. Wissenschaftler des eigens dafür eingerichteten Forschungszentrums der LSU, dem „Center for the Study of Public Health Impacts of Hurricans“ (CSPHH), entwarfen mit Filmen und Animationen angefütterte Szenarien, die „Katrina“ mit erschreckender Genauigkeit in die Realität umgesetzt hat. „Würde New Orleans in einem großen Hurrikan wirklich geflutet werden?“ – die Frage beschäftigt die Forscher der LSU schon lange. Auf der Website Universität steht das Fragezeichen noch. „Katrina“ hat dahinter ein Ausrufezeichen gesetzt.

Mussten die Deiche brechen?

Brechende Deiche, zerstörerische Wassermassen, brennende Fluten – das Szenario war bekannt. Mussten die Deiche also brechen? „Man kann sich vor solchen Extremereignissen nur bedingt schützen“, warnt Conrad Boley, Professor der Universität der Bundeswehr München, vor voreiliger Kritik. Der Leiter des Instituts für Bodenmechanik und Grundbau forscht schwerpunktmäßig zu „Deichbau“. Die Deiche seien vermutlich nicht für diese extremen Hochwasser konzipiert worden.

New Orleans im Teufelskreis

Die Deiche sind das Dilemma der Stadt. Je mehr sie sinkt, desto höher und stabiler müssen die Deiche sein. Je höher und stabiler die Deiche, desto trockener aber der Grund, desto schneller wiederum sinkt die Stadt. Damit die Senke nicht bei jedem Regen unter Wasser steht, pumpt die Stadt ständig Sicker- und Abwasser in den höher gelegenen Lake Pontchartrain. Dadurch trocknet der Boden noch mehr aus, was die Absenkung wiederum beschleunigt. „Ein Teufelskreis: Je mehr sich die Stadt absenkt, desto stärker wird sie überflutet, umso mehr muss gepumpt werden“, schrieb „Spektrum der Wissenschaft“.

Hurrikan "Georges" letzte Warnung

Um den „Teufelskreis“ zu unterbrechen, haben Forscher und der für den Deichbau zuständige Ingenieurkorps der US-Armee bereits in den 80er Jahren Projektideen entwickelt. Erst als Hurrikan "Georges" 1998 kurz vor New Orleans abdrehte, veröffentlichten Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker gemeinsam „Coast 2050“, einen Plan zur Regenerierung der Küstenlandschaft von Louisiana. 14 Milliarden Dollar hätte das gekostet. Zu teuer, deshalb blieb es bei der Idee.

Hat Bush an der falschen Stelle gespart?

Der US-Regierung wird nun vorgeworfen, an der falschen Stelle gespart zu haben. US-Präsident George W. Bush hatte in der Vergangenheit mehrfach beantragt, das Budget für Hochwasserschutz zu kürzen. Auch eine vollständige Finanzierung hätte die Katastrophe nicht verhindern können, erklärte dagegen der Kommandeur des Ingenieurkorps. Allerdings hätte das Wasser schneller abgepumpt werden können.

Für "Katrina" waren die Deiche zu niedrig

„Selbst wenn die Deiche wieder trocken sind, heißt das nicht, dass die Deiche dann wieder in ihrem ursprünglichen Zustand sind“, erklärte Boley das Problem. Dann müsse man darüber nachdenken, wo die Hochwasserlinie zu niedrig war und ob man sie erhöht – und um wie viel. Auch wenn die Deiche der Flutwelle von „Katrina“ getrotzt hätten – wer weiß, ob der nächste Hurrikan nicht eine viel höhere mitbringt. „Wir lernen daraus, dass wir die Natur eben doch nicht mit allen Mitteln beherrschen können“, zieht Boley sein Fazit. „Was wir aber verbessern können, sind Prognosen und Frühwarnsysteme, um mehr Zeit zu gewinnen.“