Das sowjetische Militärtribunal - ein Inquisitionsgericht "Die Verkündung des Urteils war irrwitzig"

Stand: 25.08.2007 20:18 Uhr

Etwa ein dreiviertel Jahr nach der Verhaftung und nach etlichen Verhören werden die Angeklagten vor das Sowjetische Militärtribunal geführt. Innerhalb von etwa zwei Tagen findet dort der Prozess statt, der mit einem Todesurteil endet.

Das Militärtribunal eröffnet etwa nach einem dreiviertel Jahr Untersuchungshaft den Prozess gegen die Angeklagten. Nur zwei Tage dauert es, bis das Urteil gesprochen wird – sehr selten zieht sich die Verhandlung bis zu einer Woche hin. Jörg Rudolph vom Berliner Geschichtsinstitut "facts&files" erklärt, dass das sowjetische Militärtribunal wie ein Inquisitionsgericht funktioniere. Von freien, offenen Verfahren könne keine Rede sein; Verteidiger im Sinne von ausgebildeten Rechtsanwälten oder Zeugen, die zu einer Entlastung führen, seien nicht zugelassen, so Rudolph. Das Tribunal richte sich lediglich nach dem Strafantrag, den der Verhöroffizier des sowjetischen Geheimdienstes vorlegt. Dieser Strafantrag fließe in die Anklageschrift des Staatsanwaltes ein und der Richter vollstrecke ohne große Freiheit und ohne große Debatten das Urteil.

Willkürliche Anklagen

Um die Schuld der Angeklagten zu beweisen, werden die unter Druck entstandenen Verhörprotokolle verlesen. Auch in dem Prozess von Arno Franke. Ihm wird unter anderem konterrevolutionäre Bandenbildung und Planung eines bewaffneten Aufstandes vorgeworfen. Nach Meinung des sowjetischen Geheimdienstes zählt Franke zu einer illegalen Organisation von 31 Menschen. Als Kopf der sogenannten Widerstandsgruppe gilt der Westberliner Gerhard Max Lingk. Jürgen Franke erzählt, dass sein Vater Lingk damals jedoch nur flüchtig kennt. Von einer organisierten Bande könne überhaupt nicht die Rede sein, meint Franke, denn die beiden Männer hätten sich nur einmal kurz im Zug kennen gelernt, über Waffen hätten sie nicht verfügt. Ein Fall unter vielen, so Jörg Rudolph von "facts&files", denn wenn erst einmal eine Person in den Fängen des Geheimdienstes gewesen sei, dann seien nach einem Schneeballsystem auch seine Bekannten in Verdacht geraten. So ist der kurze Kontakt zu Lingk für Arno Franke zum Verhängnis geworden.

Der "Gummiparagraph" 58

Meist werden die Häftlinge nach Paragraph 58 des sowjetischen Strafgesetzbuches verurteilt. Ein Gummiparagraph, der unter anderem antisowjetische Tätigkeiten und Hochverrat umfasst. Die Todesurteile werden vor allem wegen angeblicher Spionage ausgesprochen. Auch gegen Arno Franke.

Der 18-jährige Eduard Lindhammer steht vier Monate nach seiner Verhaftung vor dem SMT, weil er Flugblätter für die LDP verteilt hat. Lindhammer hat Glück im Unglück. Der sowjetische Richter spricht nicht das Todesurteil aus, sondern verurteilt ihn und seine Mitangeklagten zu 25 Jahren Arbeitslager. Die erste Reaktion des Schülers war Gelächter: „Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass man für das Verteilen von Flugblättern eine so irrwitzig hohe Strafe bekommen sollte.“ Eine typische Schock-Reaktion meint Jörg Rudolph vom Geschichtsinstitut "facts&files".

Hoffnung auf Begnadigung

Auch für die zu Tode verurteilten Deutschen habe nach der Urteilsverkündung oftmals eine Zeit des Hoffens begonnen, so Rudolph. Denn es gab das Gerücht, dass die Urteile nicht vollstreckt werden und in Begnadigungen münden. Eine trügerische Hoffnung: Tatsächlich werden nur sieben Prozent der Todeskandidaten begnadigt.

Nach der Verurteilung werden die Todeskandidaten wie der Nielitzer Arno Franke und der Schweriner Gerhard Priesemann über Berlin-Lichtenberg und Brest nach Moskau deportiert. Etwa drei Monate verbringen sie in dem berüchtigten Moskauer Gefängnis Botyrka bis sie nachts in den Keller geführt werden. Dort befindet sich die Todeszelle, wo die 927 Opfer wie Franke und Priesemann einzeln hingerichtet werden. Noch in der gleichen Nacht werden ihre Leichen auf den Moskauer Friedhof Donskoje gebracht. Ihre Körper und alle persönlichen Habseligkeiten werden im dortigen Krematorium eingeäschert, um die Spuren der Opfer zu verwischen. Schließlich wird ihre Asche im Massengrab drei des Friedhofs verscharrt.

Unterdessen wissen die Familien nichts von dem Schicksal ihrer Angehörigen. Die Behörden der DDR und der UdSSR geben keine Auskunft.