Hintergrund

Hintergrund zur Lage in Westafrika Mali: Der lange Weg in die Krise

Stand: 01.11.2012 17:23 Uhr

Die aktuelle Krise in Mali hat eine lange Vorgeschichte. Zu tun hat sie mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der Tuareg, schweren politischen und militärischen Fehlern der Regierung in Bamako und dem Fall des Gaddafi-Regimes in Libyen.

Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkstudio Rabat

Die Krise in Mali ist eine Geschichte von verratenen Unabhängigkeitsträumen, von ignoranten Politikern und radikalislamischen Terroristen, die als Trittbrettfahrer ihre Chancen eiskalt genutzt haben. Aber der Reihe nach.

Einer der Auslöser der Mali-Krise war der Fall des Gaddafi-Regimes, wie Philippe Hugon, Afrika-Experte am Politikinstitut IRIS in Paris erklärt. "Als die libysche Regierung auseinanderfiel, wurden Raketenwerfer oder Anti-Panzerminen mitgenommen. Alle möglichen Gruppen hatten Zugang zu diesen Waffen. Darunter waren auch die Tuareg, die für Gaddafi kämpften. Diese Leute stehen auf einmal mit leeren Händen da, denn sie können natürlich nicht in die malische oder libysche Armee integriert werden. Deswegen haben sie sich dieser Rebellion angeschlossen", so der Experte.

Die Rebellion vom Frühjahr 2012 war der Höhepunkt des Dauerkonflikts zwischen den Tuareg-Rebellen im Norden und der malischen Regierung. Schon seit Jahrzehnten werfen die Nomaden dem Staat vor, dass er ihre Kultur nicht anerkennt. Der Kampf der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA, Mouvement pour la Libération de l’Azawad), der Tuareg-Bewegung für einen eigenen Berber-Staat namens Azawad, bekam neuen Auftrieb, als schwer bewaffnete Tuareg aus Libyen nach Mali zurückkehrten. In Gaddafis Wüstencamps waren sie bestens als Guerilla-Kämpfer ausgebildet worden.

Alexander Göbel, A. Göbel, DW Rabat, 01.11.2012 15:53 Uhr

"Seit der Unabhängigkeit 1960 hat der malische Staat dem Volk des Azawad immer wieder klargemacht, dass es nicht willkommen ist", MNLA-Sprecher Moussa Ag Attaher. "Wir haben immer wieder unsere Waffen niedergelegt, Friedensflammen angezündet, Abkommen unterzeichnet. Aber heute müssen wir eine bittere Bilanz ziehen. Die Regierung Malis hat uns niemals gewollt, sondern hat uns nur benutzt", erklärte der Sprecher im Februar 2012.

Rebellion im Norden, Putsch im Süden

Wenige Monate später, im April 2012 überrollen binnen weniger Wochen die Tuareg die schwachen malischen Regierungstruppen im Norden und rufen die Unabhängigkeit ihres Territoriums aus. Heftig wird unter Experten darüber diskutiert, welche Rolle die ehemalige Kolonialmacht Frankreich bei diesem Kampf spielt, welche Interessen die USA verfolgen, was der Schlüsselstaat Algerien will. Fakt ist: Die Destabilisierung Malis wird in Kauf genommen.

Ironischerweise wird der Durchmarsch der Rebellen von einem Militärputsch im Süden des Landes begünstigt: In der Hauptstadt Bamako hatte am 22. März eine Gruppe von Offizieren die Macht übernommen und Präsident Amadou Toumani Touré verjagt. Die Militärs waren unzufrieden mit dem zaghaften Krisenmanagement im Norden.

Islamisten haben Tuareg verjagt

Seit dieser Zeit ist Mali faktisch geteilt. Es gibt mittlerweile wieder eine Übergangsregierung im Süden. Den Norden, ein riesiges Wüsten-Gebiet so groß wie Spanien und Frankreich zusammen, kontrollieren nicht die Tuareg, sondern die Islamisten. Die Tuareg der MNLA sind längst Gejagte ihrer einstigen Helfer geworden.

Damit ihr unabhängiges Azawad Wirklichkeit werden konnte, hatten sie sich mit radikalen und kampferprobten Islamisten eingelassen: Männer aus Mali, aus Mauretanien, aus Algerien, allesamt mit besten Verbindungen zu Al Kaida. Der Pakt mit den radikalen Islamisten von Ansar Dine, angeführt vom Malier Iyad Ag Ghaly, wurde den Tuareg zum Verhängnis. Die blauen Männer der Wüste wurden vertrieben, von selbsternannten Verteidigern des Glaubens.

Um Azawad geht es nicht mehr, dafür umso mehr um die gnadenlose Einhaltung der Scharia, des strengen islamischen Rechts.  Und es geht um die kaum kalkulierbare Gefahr eines "Afrikanistan" - denn das riesige Gebiet nördlich des Niger-Flusses ist längst zu einem Rückzugsgebiet der Terroristen geworden.