Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (Archivbild)
interview

Österreichs Außenminister im Interview "Europa bewegt sich in die richtige Richtung"

Stand: 18.02.2017 21:52 Uhr

Österreichs Außenminister Kurz ist für seine harte Haltung beim Thema Flüchtlinge bekannt. Nun lobt er im Interview mit tagesschau.de, wie sich die Politik in Deutschland entwickelt hat. Auf die Frage nach einer möglichen Koalition mit der rechten FPÖ antwortet er ausweichend.

tagesschau.de: Sie haben die deutsche Flüchtlingspolitik - wie zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland - kritisch bewertet. Kanzlerin Merkel hat an anderer Stelle ihre Politik aber verschärft, zum Beispiel in puncto Abschiebungen. Wie sehen Sie die deutsche Politik derzeit?

Sebastian Kurz: Ich finde, dass sich die Politik nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa in die richtige Richtung bewegt hat. Ich bin von Anfang an der Meinung gewesen, dass die Politik der offenen Grenzen falsch ist, weil sie dazu führt, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg machen. Es hat in Deutschland und in ganz Europa eine starke Trendwende stattgefunden. Das halte ich für gut.

Wir sind aber noch lange nicht am Ziel. Vieles, was angedacht ist, muss wirklich umgesetzt werden. Am Ende des Tages muss klar sein: Wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, muss an der Außengrenze gestoppt, versorgt und zurückgestellt werden. Aber er darf nicht nach Mitteleuropa weiterreisen dürfen. Parallel müssen wir die Hilfe vor Ort ausbauen.

Sebastian Kurz
Zur Person

Sebastian Kurz zählt mit seinen 30 Jahren zu den jüngsten Außenministern, die es je gab. In Österreich gilt er als eines der größten politischen Talente und möglicher Kanzlerkandidat.

Das Außenministerium übernahm er 2013, zuvor war er drei Jahre Staatssekretär für Integration. Er gehört der konservativen ÖVP an, die derzeit mit der sozialdemokratischen SPÖ koaliert. Beiden Parteien im Nacken sitzt die rechtspopulistische FPÖ.

"Die Masse kommt auf der Suche nach einem besseren Leben"

tagesschau.de: Eine Ihrer Forderungen ist der Aufbau von Asylzentren in den Nachbarstaaten der EU, in Ländern wie Weißrussland und Tunesien. Nun sind aber die Bedingungen für Flüchtlinge in Weißrussland sehr hart und Tunesien zum Beispiel möchte keine Asylzentren eröffnen.

Kurz: Ich bin massiv kritisiert worden, als ich gesagt habe, wir müssen von Australien lernen und den Menschen, die sich illegal zu uns auf den Weg machen, Sicherheit außerhalb Europas bieten. Aber wir können diesen Menschen nicht das bessere Leben in Mitteleuropa bieten, weil wir so ungerecht sein wollen, sondern weil sich sonst immer mehr Menschen auf den Weg machen.

Mittlerweile hat sich dieser Zugang durchgesetzt. Ich halte das für richtig und bin überzeugt, dass wir Partnerländer finden werden, in denen Flüchtlingszentren von internationalen Organisationen betrieben werden, die wir als EU auch finanzieren.

Ich glaube auch, dass der Andrang in diesen Zentren überschaubar sein wird. Die Zahl der Menschen, die dort untergebracht werden, wird massiv zurückgehen. Die Masse der Menschen kommt vor allem auf der Suche nach einem besseren Leben nach Mitteleuropa. Das verstehe ich menschlich zu 100 Prozent. Wir können das aber nicht leisten. 

"Dies funktioniert in Australien und Kanada"

tagesschau.de: Wie ist es aber mit den Menschen, die aufgrund ihrer Lage ein Recht auf Asyl haben? Beantragen können sie es nur in Deutschland oder Österreich, nicht aber in der Türkei oder Weißrussland. Wie wollen Sie das regeln?

Kurz: Ich würde hier auf das System der Resettlement-Programme umstellen. Das bedeutet: Nicht, wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, hat es geschafft, wenn er die Überfahrt über das Mittelmeer überlebt hat, sondern wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, wird zurückgestellt.

Wer in den Herkunftsländern Unterstützung braucht, kann mittels Resettlement-Programmen - in zahlenmäßig schaffbarem Ausmaß natürlich - nach Europa gebracht werden. Dies funktioniert in Australien und Kanada. Auch Großbritannien und Österreich nehmen jetzt schon über solche Programme direkt aus den Krisenherden Menschen auf - ohne dass die Menschen Schlepper verwenden müssen und im Mittelmeer sterben und ohne Überforderung bei uns in Mitteleuropa.

Dialog mit der Türkei, aber keine Beitrittsgespräche

tagesschau.de: Ein weiteres Land, in das Flüchtlinge zurückgeführt werden sollen, ist die Türkei. Sie haben sich für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei ausgesprochen und die Regierung in Ankara sehr verärgert. Wie wollen Sie denn die Türkei überzeugen zu kooperieren?

Kurz: Wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Türkei wie mit anderen Nachbarstaaten. Aber ich bin der Meinung, dass sich die Türkei in den vergangenen Jahren immer weiter von Europa und unseren Grundwerten entfernt hat. Ich sehe diese Türkei daher nicht in der EU.

Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

"Es gibt auch keine Alternative zum Dialog", meint Kurz und hält Gespräche wie das zwischen Merkel und Erdogan für wichtig.

tagesschau.de: Nun war Kanzlerin Merkel gerade in der Türkei zu Gesprächen. Halten Sie das für zielführend?

Kurz: Ich halte Kontakte mit der Türkei für absolut richtig. Es gibt auch keine Alternative zum Dialog. Als Ziel sehe ich die Zusammenarbeit aber trotzdem in einer maßgeschneiderten Partnerschaft und in nicht in einem Beitritt.

Mehr EU-Kooperation in der Verteidigungspolitik

tagesschau.de: Eine Frage zur Sicherheitspolitik: Was halten Sie von Plänen innerhalb der EU entsprechend dem Lissaboner Vertrag gemeinsame Militärstrukturen zu errichten?

Kurz: Ich bin der Meinung, dass wir eine stärkere Kooperation im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik brauchen, auch als Vertreter eines neutralen Landes halte ich das für sinnvoll. Es gibt viele Bereiche, in denen die Zusammenarbeit Sinn macht, in manchen Bereichen ist sie sogar notwendig, wie beim Außengrenzschutz.

tagesschau.de: Nun sind ja rechtspopulistische Parteien in Europa gegen die EU. Wenn Marine Le Pen in Frankreich die Wahl gewinnt, ist die EU am Ende. Wie stehen Sie zu einer Koalition mit der FPÖ?

Kurz: Es gibt in Österreich eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ im Burgenland, eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ in Oberösterreich. Auf Bundesebene stellt sich die Frage nicht, weil wir eine intakte Koalition zwischen ÖVP und SPÖ haben und diese Koalition ist noch mitten in der Legislaturperiode.

Beobachtermission in der Ukraine stärken

tagesschau.de: Nach der Übernahme des OSZE-Vorsitzes im Januar haben Sie zuerst die Ukraine besucht. Inzwischen hat sich die Lage dort noch verschärft. Sie schlagen einen stufenweisen Abbau der Sanktionen gegen Russland vor, wie genau wollen Sie das umsetzen?

Kurz: Ich halte ein Zug-um-Zug-Prinzip für sinnvoll: Für eine positive Entwicklung in der Ukraine eine schrittweise Rücknahme der Sanktionen. Wir versuchen das als OSZE zu unterstützen, indem wir die OSZE-Beobachtermission massiv ausbauen und technisch besser ausstatten, um eine bessere Kontrolle zu ermöglichen. Ich hoffe, dass das dazu führt, dass der Waffenstillstand wirklich eingehalten wird.

tagesschau.de: Für wie wichtig halten Sie dabei den Aspekt, dass die ukrainische Seite wieder Zugang zur Grenze nach Russland erhält?

Kurz: Das ist natürlich ein notwendiger Schritt. Aber der erste Schritt muss ein Waffenstillstand sein.

Brücken bauen einerseits, Mauern bauen andererseits

tagesschau.de: Sie beschreiben sich gern als Brückenbauer. Aber Sie haben Verständnis für Trumps Plan eines Mauerbaus zu Mexiko gezeigt. Wie passt das zusammen?

Kurz: Das war in einer Überschrift verkürzt dargestellt.

tagesschau.de: Anders ausgedrückt: Was halten Sie vom Brücken bauen einerseits und Mauern bauern andererseits?

Kurz: Wenn wir vom Verhältnis der EU und Russland sprechen, wenn wir vom Ukraine-Konflikt sprechen, da bin ich natürlich der Meinung, dass wir Brücken bauen müssen. Nur mit einem Mehr an Vertrauen wird es eine Verbesserung der Situation geben können und wird es möglich sein, wieder nachhaltigen Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent zu haben.

Stichwort Mauern bauen: Ich halte nichts von Mauern bauen. Ich bin aber der Meinung, dass Grenzen wie die europäischen Außengrenzen geschützt werden müssen. Ein ordentlicher Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen ist die Basis für ein Europa ohne Grenzen nach innen. Wer gegen europäische Außengrenzen ist, der ist verantwortlich dafür, dass es bald kein Europa ohne Grenzen nach innen mehr gibt.

Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD "Maischberger" am 17. Januar 2018 um 22:45 Uhr.