Hintergrund

Ein Jahr nach der Unabhängigkeit Der Präzedenzfall Kosovo

Stand: 17.02.2009 03:13 Uhr

Als das Kosovo vor einem Jahr unabhängig wurde, befürchteten viele, dies könne ein Signal für Separatisten weltweit sein. Tatsächlich hat sich seitdem zum Beispiel die Situation im benachbarten Bosnien verschlechtert. Eine direkte Verbindung gibt es zwischen der Unabhängigkeit des Kosovo und dem Krieg in Georgien.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Unruhen, Angriffe auf ein EU-Büro und auf ein Gerichtsgebäude im Norden des Kosovo, die Zerstörung der US-Botschaft in Belgrad durch randalierende Serben – die ersten Tage des unabhängigen Kosovo ließen nichts Gutes erahnen. Doch blieb es danach relativ ruhig. Zwar kommt es immer wieder zu Protesten der serbischen Minderheit und faktisch ist der Norden vom Rest des Kosovo getrennt, aber eine Massenflucht und größere Auseinandersetzungen mit den Kosovo-Albanern blieben aus.

In Serbien konnten die Ultranationalisten die Wähler bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht überzeugen. Den Bürgern waren finanzielle Aufbauhilfe und Reiseerleichterungen als Teil eines Partnerschaftsabkommens mit der EU wichtiger als der Widerstand gegen die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz, die die Kosovo-Albaner gegen den Willen Serbiens und Russlands ausgerufen hatten.

Bosnien droht auseinanderzubrechen

Doch die Anerkennung des Kosovo durch mittlerweile 54 von 192 UN-Staaten hat vielen Separatisten ein weiteres Argument geliefert, für ihre Region ebenso Unabhängigkeit zu fordern. Das betrifft zum Beispiel das benachbarte Bosnien-Herzegowina. Dort haben die Spannungen zwischen den Teilstaaten - der Serbenrepublik Srpska und der muslimisch-kroatischen Föderation - noch zugenommen.

Das Parlament der Republika Srpska verurteilte die einseitige Unabhängigkeitserklärung als "illegal". Wenn die Kosovo-Albaner das Recht auf Selbstbestimmung der Völker für sich in Anspruch nehmen dürften, so müsse dies den Serben in Bosnien auch zugestanden werden. Der muslimische Präsident Haris Silajdzic und der serbische Regierungschef Milorad Dodik heizen seither die Stimmung weiter an. Erst im Oktober drohte Dodik, die Serbenrepublik könne sich abspalten. Er kündigte an, seine Republik werde Zuständigkeiten wieder übernehmen, die sie an den Bundesstaat abgetreten hatte.

Separatisten in Spanien frohlockten

Auch den Separatisten im spanischen Baskenland diente das Kosovo als Argument für die eigenen Forderungen nach Abspaltung. Mit Genugtuung erklärte die Baskische Nationalistenpartei PNV, die Unabhängigkeit des Kosovo bestätige das Recht auf freie Entscheidung eines Volkes über das eigene Schicksal. Ende Juni kündigte die baskische Regionalregierung ein Unabhängigkeitsreferendum an. Es wurde aber vom Verfassungsgericht für illegal erklärt. Bei der Regionalwahl im März muss die PNV Umfragen zufolge mit einer Wahlniederlage rechnen. Nachvollziehbar ist dennoch, dass die Zentralregierung in Madrid das Kosovo nicht anerkannte.

EU verhält sich uneinheitlich

Neben Spanien haben die EU-Länder Zypern, Griechenland, Rumänien und die Slowakei diesen Schritt verweigert. Das erschwert der EU eine einheitliche Haltung gegenüber der EU-Mission Eulex, die im Kosovo den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstützen soll. Sie konnte erst Ende 2008 nach sechsmonatiger Verzögerung ihre Arbeit aufnehmen. Eulex löst nicht wie geplant die von vielen Seiten kritisierte UN-Verwaltung UNMIK ab, sondern muss unter und neben ihr agieren. Ursprünglich sollte Eulex durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates legitimiert werden. Dies war aber nach jahrelangen Verhandlungen über den Status des Kosovo am Widerstand Russlands gescheitert.

Für Russland war es ein Präzedenzfall

Der russischen Regierung ging es dabei nicht nur um die Unterstützung der territorialen Integrität Serbiens, sondern auch um eine Demonstration der eigenen Macht in der Welt. Dies erklärt sich durch den Umgang Russlands mit den von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien. Im Widerspruch zur Argumentation bezüglich des Kosovo erkannte Russland deren Unabhängigkeit am 26. August 2008 an - zwei Wochen nach dem Ende des Georgien-Krieges, den der georgische Präsident Michail Saakaschwili mit dem Angriff auf Südossetien ausgelöst hatte.

Putin bekannte sich früh

Doch hatte Russland dies offenbar schon länger erwogen. Bereits im September 2006 hatte Wladimir Putin - damals noch als russischer Präsident - gefordert, für die beiden Gebiete im Kaukasus die gleichen Maßstäbe anzuwenden wie beim Kosovo. Als die Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner näher rückte, drohte das russische Außenministerium mit einer "adäquaten Reaktion".

Nach Aussage des Russland-Experten Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bemühte sich die Regierung in Moskau bereits zu dieser Zeit darum, andere Länder davon zu überzeugen, die Unabhängigkeit der beiden Gebiete anzuerkennen. Südossetien und Abchasien hatten mit Verweis auf das Kosovo offiziell darum gebeten. Bestärkt in ihrer Forderung wurden sie, als das russische Parlament im März 2008 ihre Unabhängigkeit forderte und das Außenministerium in Moskau Wirtschaftssanktionen gegen beide aufhob.

Die rote Linie war überschritten

Als die NATO Anfang April 2008 Georgien und der Ukraine eine Mitgliedschaft in der Allianz grundsätzlichin Aussicht stellte, war für Russland die rote Linie endgültig überschritten. Der Kreml kündigte die Eröffnung von "Quasi-Konsulaten" und eine enge Zusammenarbeit mit beiden Gebieten an, was einer Anerkennung fast gleichkam. Die georgische Regierung ließ sich provozieren - eine undurchsichtige Spirale aus Reaktion und Gegenreaktion kam in Gang, die im Fünf-Tage-Krieg endete. Dabei hatte schon im Frühsommer ein Krieg in Abchasien gedroht, der gerade noch abgewendet hatte werden können, bestätigte die damalige georgische Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse tagesschau.de.

Die Anerkennung des Kosovo und die NATO-Entscheidung haben zur Eskalation beigetragen. Doch hatten die Konfliktparteien schon nach 2004 nicht mehr an eine Verhandlungslösung geglaubt, als Saakaschwili Präsident geworden war und die Herstellung der territorialen Integrität Georgiens angekündigt hatte. Das betont Dieter Boden, ehemals Vertreter der OSZE und der UNO in Georgien.

Der Krieg jedenfalls und die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens ermöglichen es Russland, dort mehr Truppen als zuvor zu stationieren. Russland hatte bis Ende 2007 gemäß internationaler Vereinbarungen den Abbau der letzten Militärstützpunkte in Georgien abgeschlossen. Außerdem sollte die russische Armee laut Abkommen mit der EU nur so viele Soldaten wie vor dem Krieg in Georgien belassen. Nun errichtet die russische Armee neue Militärstützpunkte und belässt mehr Soldaten dort als vereinbart. Russland sieht sich dennoch im Recht, denn es handele sich nicht mehr um georgisches Territorium, sondern um eigenständige Staaten.

Folgen überraschend?

Dabei gerät außer Acht, dass zumindest Abchasien über die Jahre eigene staatliche und gesellschaftliche Strukturen aufgebaut hat und dies ohne internationale Organisationen wie im Kosovo. Ohne internationale Unterstützung und Anerkennung jedoch sind die Abchasen auf Russland angewiesen - sei es durch Wirtschaftshilfe oder durch die Annahme russischer Pässe.

Wenn die EU es mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker überall so ernst nehmen würde wie im Kosovo, müsste sie ihre Position gegenüber Abchasien überdenken, ebenso wie der Kreml seine Haltung gegenüber dem Kosovo. Fraglich bleibt, ob die verantwortlichen Politiker vor einem Jahr die Folgen der Anerkennung des Kosovo nicht überblicken konnten, oder ob sie sie in Kauf genommen haben.