EU-Bericht zu Kinderhandel in Europa "Wohin sie verschwinden, wissen wir nicht"

Stand: 07.07.2009 15:54 Uhr

Tausende Kinder verschwinden jedes Jahr aus europäischen Flüchtlingslagern. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der EU-Grundrechteagentur. Die meisten würden ausgebeutet - auf dem Arbeitsmarkt, durch Betteln, Prostitution oder Organ-Entnahme.

Von Andreas Reuter, HR-Hörfunkstudio Brüssel

Tausende Kinder werden jedes Jahr von Menschenhändlern verkauft und ausgebeutet. Morten Kjaerum, der Direktor der EU-Agentur für Grundrechte, schildert einen Fall von vielen: "Dayo, ein 15-jähriges Mädchen, wurde aus Nigeria nach Großbritannien gebracht. Sie landete in einem Haushalt und musste sehr schwer arbeiten. Auf drei Kinder aufzupassen, alle Hausarbeit zu erledigen und verprügelt zu werden, gehörte zu ihrem Alltag."

400 Kinder aus Lampedusa verschwanden 2008

Allein auf der italienischen Insel Lampedusa verschwanden im vergangenen Jahr 400 Kinder spurlos. Das entspricht fast einem Drittel aller Kinder, die im dortigen Flüchtlingszentrum ankamen. In Ungarn verschwanden laut Kjaerum im Jahr 2005 sogar 1800 Kinder aus den Aufnahmelagern.

"Die Kinder kommen als Asylbewerber oder auf andere Art", erklärt Kjaerum. "Sie werden registriert, kommen in Aufnahmelager und nach einigen Tagen verschwinden sie. Wir wissen nicht wohin. Aber man darf annehmen, dass sie ausgebeutet werden - auf dem Arbeitsmarkt, durch Betteln, Prostitution oder Organ-Entnahme."

Wichtiger erster Schritt: Daten sammeln

Immerhin: So schlimm die Zustände in Italien oder Ungarn auch sein mögen, diese Länder führen wenigstens Buch, lobt Nirah Nathwani, der Autor des ersten EU-Berichts über den Kinderhandel. Sie gehören zu den wenigen EU-Staaten, die diese Fälle statistisch überhaupt erfassen: "Solche Statistiken zu haben, ist gut. Schlimmer ist es bei Ländern, die keine Statistik führen, von denen wir aber trotzdem wissen, dass solche Dinge passieren. Der erste Schritt ist also, die Daten zu sammeln. Denn das heißt, das Problem anzuerkennen."

Die Opfer müssten identifiziert und die Täter verfolgt und bestraft werden. Bisher sind nach den Erkenntnissen der Grundrechteagentur seit dem Jahr 2000 überhaupt erst in vier von 27 Ländern Täter wegen Kinderhandels verurteilt worden, obwohl das Problem weit verbreitet ist.

"EU-Länder behandeln Opfer wie Täter"

Wichtiger als die Täter zu verfolgen, sei es aber, die Opfer zu schützen und sie nicht wie Verbrecher zu behandeln. Das aber ist in vielen EU-Ländern der Fall. Da werden zum Beispiel Mädchen ins Land geschleust, um in Bordellen zu arbeiten. Und wenn sie dann auffielen, dann würden sie auch noch wegen illegaler Einreise und Prostitution ins Gefängnis gesteckt, so Agentur-Chef Kjaerum.

"Opfern von Kinderhandel muss eine langfristige Perspektive geboten werden", fordert er. Das beinhalte auch Erziehung und das Recht, im Lande zu bleiben. Und sie dürften nicht in dieselben Aufnahmelager gesteckt werden wie erwachsene Asylbewerber. Denn allzu oft führe die schlechte Behandlung durch die offiziellen Stellen dazu, dass die Minderjährigen im Zweifel den Menschenhändlern mehr vertrauten, als der Polizei und den Behörden.