Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte spricht auf einer Pressekonferenz in Rom.

Vor Finanzministertreffen Italiens wachsende EU-Skepsis

Stand: 07.04.2020 11:25 Uhr

Die Zustimmung der Italiener zu Europa hat in der Corona-Krise gelitten. Ministerpräsident Conte fürchtet, dass die Skepsis noch zunehmen könnte, sollte sich die EU nicht auf gemeinsame Hilfen verständigen.

Vertrauen in Europa? Das war einmal in Italien. Im einst EU-begeisterten Land zeigen in der Coronavirus-Krise nur noch 30 Prozent der Menschen Sympathien für die Gemeinschaft. 70 Prozent sagen, sie hätten kein Zutrauen mehr in die Europäische Union. "Das Virus entfernt das Herz der Italiener vom europäischen Traum", überschreibt die Zeitung "La Repubblica" ihren Bericht zu den Umfrageergebnissen des renommierten Demos-Instituts.

Die Diskussion um die Hilfen in der Coronavirus-Krise zeige, dass auf Europa kein Verlass ist, schimpft auch Piero, der in der Innenstadt Roms zu Lebensmitteleinkäufen unterwegs ist: "Ich glaube, an diesem Punkt kann man sagen, dass Europa eigentlich nicht mehr existiert." Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland wollten bei den Hilfen nicht mitmachen. "Wenn es so ist, dann lassen wir es sein mit Europa. Dann war es wohl, wie wir in Rom sagen, nur ein Scherz", so Piero.

Nicht mitmachen wollen bei den Hilfen: Damit meint Piero das bisherige "Nein" unter anderem Deutschlands zu den von Rom geforderten sogenannten Corona-Bonds, also europäischen Staatsanleihen, für die alle Steuerzahler in der EU haften würden, um dem von der Corona-Krise besonders gebeutelten Italien und anderen finanziell wieder auf die Beine zu helfen.

Deutschland lehnt Corona-Bonds ab

Corona-Bonds - das ist in Rom nichts mehr nur etwas für Finanzexperten, sondern ein für viele emotional aufgeladenes Thema. Ein Symbol für die Hilfsbereitschaft der EU, ein Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit der Gemeinschaft. Vorangetrieben hat diese Zuspitzung unter anderem Ministerpräsident Giuseppe Conte. Mit Nachdruck forderte Conte von den anderen EU-Regierungschef vor zwei Wochen, Corona-Bonds einzuführen. "Europäische Hilfen gleich Corona-Bonds" hat sich seitdem in den Köpfen vieler Italiener festgesetzt. Auch die Kommentare der großen italienischen Zeitungen gehen in diese Richtung.

Im Gespräch mit der ARD sagte Conte wachsende Europa-Skepsis voraus, sollte sich die EU nicht auf gemeinsame Hilfen verständigen können: "Wenn wir es angesichts dieser Herausforderung nicht schaffen, eine koordinierte, einheitliche, starke, entschiedene Antwort zu geben, werden sich unsere Bürger möglicherweise von diesem gemeinsamen Haus entfernen. Sie würden sich nicht mehr beschützt fühlen."

Im Video-Gipfel mit seinen EU-Amtskollegen erhielt Conte für seine Corona-Bonds-Forderung Unterstützung vor allem vom spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez. Kühle Ablehnung soll dagegen von Bundeskanzlerin Angela Merkel gekommen sein. Für sie sind die Corona-Bonds nichts anderes als Euro-Bonds - die Deutschland seit Jahren strikt ablehnt, weil sie ein erster Schritt zu gemeinsamen Schulden seien.

Symbolthema in Italien

In Italien dagegen hat Conte die Corona-Bonds erfolgreich zu einem Symbolthema gemacht. Nur kurzzeitig zeigte er sich offen auch für andere Hilfslösungen. In den vergangenen Tagen lautete die Formel wieder: Wenn Europa Italien und andere wirklich unterstützen wolle, müssten die Partner ja sagen zu Corona-Bonds. Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas warben zwar für auch andere Wege der Hilfe, in einem Artikel, der unter anderem in der Zeitung "La Stampa" erschien. Der Ruf der deutschen Minister aber ging in der italienischen Debatte weitgehend unter. 

Hinter Contes harter Haltung steht auch der Druck der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die seit Jahren Euro-Bonds fordert. Für Conte, von den Fünf Sternen als Regierungschef vorgeschlagen, wäre es in Italien ein großer Triumph, sollte das Land unter seiner Führung gemeinsame Anleihen in Europa durchbringen. Seinen Finanzminister weiß er dabei an seiner Seite. Der Sozialdemokrat Roberto Gualtieri von der Demokratischen Partei, der heute für Italien in der Videokonferenz der europäischen Finanzminister am Tisch sitzt, ist ebenfalls für Corona-Bonds.

Jörg Seisselberg, Jörg Seisselberg, ARD Rom, 06.04.2020 22:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 07. April 2020 um 07:05 Uhr.