Demonstranten verbrennen US-Flagge in Teheran
interview

US-Politik im Iran "Ein Dampfkochtopf ohne Ventil"

Stand: 07.01.2020 13:57 Uhr

Maximaler Druck statt Diplomatie: Die Trump-Regierung handele im Iran ohne erkennbare Strategie, sagt Experte Marco Overhaus von der Stiftung Wissenschaft und Politik im tagesschau-Interview. Europa könne der Eskalation kaum etwas entgegensetzen.

tagesschau24: Hunderttausende Iraner, die Rache fordern, alle US-Truppen werden als Terroristen eingestuft - auf der anderen Seite Trump, der mit der Vergeltung einer möglichen Vergeltung droht. Wo hat für Sie diese Eskalationsspirale begonnen?

Marco Overhaus: Es lässt sich nie so wirklich klar festlegen, wo das angefangen hat und wer damit begonnen hat. Die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani ist sicherlich aus Sicht der amerikanischen Politik die konsequente Fortsetzung dieser Politik des maximalen Drucks und der maximalen Konfrontation mit Iran.

Das Ganze hat ja schon angefangen mit dem Austritt der USA aus dem iranischen Atomabkommen 2018. Das, was wir jetzt sehen, ist eine zunehmende Militarisierung dieses Konflikts. Lange Zeit ging es vor allen Dingen um Wirtschaftssanktionen. Mittlerweile nimmt das Ganze zunehmend auch eine militärische Dimension an, das ist sicherlich nicht gut für die Region.

tagesschau24: Was halten Sie von dem Prinzip des maximalen Drucks? War das in vergleichbaren Situationen erfolgreich?

Overhaus: Es ist grundsätzlich nichts gegen Druck einzuwenden. Wir sollten uns daran erinnern, dass auch die Vorgängerregierung in Washington, die Obama-Administration, massiven wirtschaftlichen Druck auf den Iran ausgeübt hat, teilweise auch militärischer Art.

Der zentrale Unterschied zur Trump-Regierung ist, dass Obama auch einen diplomatischen Weg gewählt hat, um diesen Druck in politische Ergebnisse umzumünzen. Und das mündete dann ja in das iranische Atomabkommen von 2015. Ein solcher diplomatischer Weg ist nicht zu erkennen. Jetzt unter Trump gleicht das Ganze einem Dampfkochtopf ohne Ventil.

tagesschau24: Der getötete General wird ja unter anderem von US-Vizepräsident Mike Pence für den Tod zahlreicher Amerikaner verantwortlich gemacht. Auf der anderen Seite war er ein mächtiger Ansprechpartner bei Verhandlungen. Ist die Region durch seinen Tod sicherer oder unsicherer geworden?

Overhaus: Jetzt erst einmal ist die Situation wesentlich unsicherer geworden, einfach deshalb, weil es hochwahrscheinlich ist, dass der Iran reagieren wird - reagieren muss, auch aus innenpolitischen Gründen. Wir haben ja auch schon die Bilder gesehen von den Demonstrationen im Iran. Es gibt Druck, etwas zu tun, in irgendeiner Art und Weise die Interessen der USA oder amerikanischer Verbündeter in der Region anzugreifen. Und insofern werden wir jetzt bedauerlicherweise erst einmal Wochen oder vielleicht Monate einer zunehmenden Eskalation erleben.

tagesschau24: Ist die EU Ihrer Ansicht nach in der Position, in diesem Konflikt erfolgreich vermitteln zu können?

Overhaus: Zurzeit sind die Rahmenbedingungen überhaupt nicht gegeben, damit die Europäische Union oder einzelne EU-Mitgliedsstaaten diplomatische Initiativen ergreifen. Die Europäer sind hochgradig abhängig von den USA, von der amerikanischen Politik. Solange die USA diese Politik des maximalen Drucks und der maximalen Konfrontation gegenüber Iran verfolgen, haben die Europäer wenig Handlungsmöglichkeiten wirtschaftlicher Art. Sie können dem Iran nicht wirklich etwas bieten, solange es amerikanische Sanktionen gibt.

Auch sicherheitspolitisch sind die meisten europäischen Staaten nicht wirklich signifikant präsent in der Region, auch wenn die Bundeswehr mit Ausbildung im Irak tätig ist. Da ist sozusagen noch kein so schweres Gewicht, das Deutschland oder Europa in der jetzigen Situation der Eskalation in die Waagschale legen können.

Marco Overhaus, SWP: "Europäer haben wenig Handlungsmöglichkeiten"

tagesschau24 11:00 Uhr

tagesschau24: Unter welchen Voraussetzungen würden die USA, aber auch Israel auf den Iran zugehen?

Overhaus: Das zurzeit zentrale Defizit der US-amerikanischen Iranpolitik ist, dass weitgehend unklar ist, was genau die Forderungen an den Iran sind. Vor einiger Zeit hat der US-Außenminister sehr umfangreiche Forderungen formuliert, die aber so weitreichend sind, dass sie im Grunde genommen unerfüllbar sind. Und die Frage ist tatsächlich, was realistischere Forderungen im Sinne einer schrittweisen Annäherung sind, um die Situation wieder etwas zu beruhigen. Das fehlt zurzeit. Es ist unklar, was die USA eigentlich fordern, damit es aus ihrer Sicht zu einer Deeskalation kommt.

tagesschau24: Wie schätzen Sie die Entwicklung der nächsten Wochen ein? Wird die Eskalationsspirale sich zurückdrehen lassen?

Overhaus: Ich denke, in den nächsten Wochen und vielleicht auch in den nächsten Monaten stehen die Zeichen nicht auf Deeskalation. Es gibt bisher wenig oder eigentlich gar keine Anzeichen dafür, dass die USA, dass die Trump-Administration ihren bisherigen Kurs gegenüber dem Iran aufgibt. Und auch der Iran wird reagieren. Insofern stehen die Zeichen jetzt leider erst einmal auf Konfrontation.

Das Interview führte Michael Paweletz, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt. Die vollständige Fassung finden Sie als Video auf dieser Seite.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 07. Januar 2020 um 11:00 Uhr.