Interview

ARD-Korrespondent Krause zur Wahl des Kommissionspräsidenten "Ich habe die Fassung verloren"

Stand: 15.07.2014 09:32 Uhr

Als Angela Merkel zögerte, Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten zu machen, lieferte sich ARD-Korrespondent Krause einen öffentlichen Schlagabtausch mit ihr. Darüber und über Juncker als Kommissionspräsident hat er mit tagesschau.de gesprochen.

tagesschau.de: Nach langem Tauziehen wird das Europaparlament Jean-Claude Juncker heute zum Kommissionspräsidenten wählen. Hat sich ihr Ärger über Merkels anfängliches Zögern jetzt in Wohlgefallen aufgelöst?

Rolf-Dieter Krause: Um mein Wohlgefallen geht es ja hier nicht. Ich glaube, es ist erst einmal gut, dass jetzt eintritt, was die europäischen Parteien vor der Wahl versprochen haben: Nämlich, dass der Spitzenkandidat der erfolgreichsten Partei auch Kommissionspräsident wird. Das ist wichtig für die Demokratie in Europa und darauf kommt es an.

Zur Person

Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.

tagesschau.de: Sie haben für Aufsehen gesorgt, weil Sie sich in einer Pressekonferenz einen Schlagabtausch mit Angela Merkel geliefert haben. Was war da los?

Krause: Ich habe das nicht als Schlagabtausch oder Streit empfunden, wie manche das hinterher geschrieben haben. Merkel hat etwas gesagt, was ich nicht verstanden habe. Sie hat angedeutet, es sei ein Vertragsbruch, wenn man darauf bestünde, dass einer der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident würde. Und ich habe einfach immer wieder nachgehakt, weil ich verstehen wollte, wo denn der Vertrag gebrochen würde. Das konnte sie nicht erklären, also merkte ich, das war ein vorgeschobenes Argument.

Darüber habe ich die Fassung verloren. Ich dachte, das kann nicht wahr sein, dass sie wirklich ein Versprechen brechen will, das sie zwar nicht als Kanzlerin, aber als CDU-Vorsitzende vor der Wahl gegeben hat. Man kann in einer Demokratie doch nicht so den Wähler verarschen. Und dass Frau Merkel das ganz offensichtlich tun wollte, habe ich nicht für möglich gehalten. Aber ich bin nicht der Gegenspieler von Frau Merkel, sondern Journalist. Und als solcher habe ich das Recht, so lange nachzufragen, bis ich verstehe, was ein Politiker mir sagt. In diesem Fall ist das aber nicht gelungen.

Eine Flut von Zuschriften

tagesschau.de: In Ihrem anschließenden Tagesthemen-Kommentar haben Sie dann deutliche Worte gefunden: Sie sagten, Merkels Spiel sei ungewöhnlich dumm. Wie war die Resonanz?

Krause: Ich habe auf diesen Kommentar mehr Reaktionen bekommen als auf alle meine bisherigen Arbeiten zusammen. Das lag sicher auch daran, dass das in den sozialen Medien ein großes Thema war. Interessant war auch, dass ich auch aus der CDU ausschließlich zustimmende Reaktionen bekommen habe. Von insgesamt weit über 10.000 Reaktionen waren genau drei Zuschriften kritisch. Das hat mich überrascht. Eigentlich findet ein guter Kommentar ja Befürworter und Gegner.

tagesschau.de: Hat das Ihr Verhältnis zu Merkel beeinflusst?

Krause: Wir begegnen uns ja meistens in Pressekonferenzen und ich muss sagen, da kann ich keine Veränderung feststellen. Ich stelle meine Fragen und sie bemüht sich, sie zu beantworten. Was ich feststellen konnte, ist, dass sich ihre Einstellung zu Juncker geändert hat.

tagesschau.de: Welchen Anteil hatten Sie daran?

Krause: Es gibt eine Menge Leute, die behaupten, ich hätte das beeinflusst. Ich selbst kann das nicht beurteilen. Wenn es so wäre, würde es mich freuen.

"Großbritannien darf sich nicht zum Schiedsrichter aufschwingen"

tagesschau.de: Warum tat sich Merkel so schwer mit Juncker?

Krause: Ich kann nicht sagen, ob es auch etwas mit der Person Junckers zu tun hatte, obwohl ich denke, dass die beiden nicht sehr eng sind. Ich glaube, Merkels Motiv war ein anderes und zwar eines, das nicht unehrenhaft ist. Sie hatte vermutlich einfach große Sorge um die Rolle Großbritanniens in der EU. Ich würde auch sagen, es wäre ein großer Verlust für Europa, wenn Großbritannien die EU verlassen würde - trotz aller Schwierigkeiten mit ihnen. Aber es kann nicht sein, dass ein Land sich zum Oberschiedsrichter darüber aufschwingt, wer die Kommission regiert.

tagesschau.de: Wofür steht Jean-Claude Juncker?

Krause: Er meint es ernst mit Europa und ist ein sehr erfahrener und pragmatischer Politiker. Er war einer der wenigen Staats- und Regierungschefs in der Euro-Krise, die wirklich etwas von Finanzpolitik verstanden haben. Hätten wir mehr auf ihn gehört, hätten wir so manchen Unsinn nicht gemacht. Er ist zweifellos ein Christdemokrat, aber er wäre bei uns ein sehr linker Christdemokrat. Das hat mit seiner Geschichte zu tun: Er kommt aus einer Arbeiterfamilie und hat ein Gefühl für die kleinen Leute. Von ihm stammt der Satz 'Ich mag keine Politiker, die nicht wissen, wie der Schweiß hart arbeitender Menschen riecht'.

Diplomatisches Geschick statt Rechthaberei

tagesschau.de: Ist er der Richtige für dieses Amt? Britische Zeitungen überzogen ihn mit Kritik, er sei faul und müde und trinke gern Alkohol.

Krause: Ihm wird zu Recht großes diplomatisches Geschick nachgesagt. Er ist kein Rechthaber und das wird ihm in diesem Amt helfen, da es in Europa es immer darauf ankommt, Kompromisse zu schließen.

Es stimmt, dass er auch die angenehmen Seiten des Lebens zu schätzen weiß, aber das halte ich nicht für einen Makel. Was die britische Presse da gemacht hat, halte ich für eine Obsession: Juncker als Europas Beelzebub zu zeichnen, den man austreiben müsse, als würde er den Untergang des Abendlandes bringen. Das ist eine maßlose Fehleinschätzung seiner Person und auch eine Überschätzung dieses Amtes.

Reform der EU und Wirtschaftspolitik

tagesschau.de: Welche Akzente wird er setzen?

Krause: Es ist zu erwarten, dass er sich zum einen um die Reform der EU kümmern wird, also die Frage, wie die EU wieder bürgernäher werden kann. Und wie die Aufgabenverteilung zwischen Mitgliedsstaaten und EU neu justiert werden kann, damit Europa sich nur um die Fragen kümmert, um die es sich wirklich kümmern muss und den Rest die Mitgliedsstaaten regeln lässt.

Zum anderen wird Juncker einen Akzent bei der Wirtschaftspolitik setzen. Wir haben die Euro-Krise noch lange nicht überwunden. Wir sind in einer neuen Phase der Krise, in der wir merken, dass wir in bestimmten Ländern eine anhaltende Wirtschaftsschwäche haben. Das ist größtenteils nationale Aufgabe, aber man kann aus Brüssel Hinweise geben und einen gewissen Beitrag dazu leisten, das Wachstum wieder in Gang zu bringen.

"Ein wichtiger Spieler unter vielen"

tagesschau.de: Wieviel kann ein Kommissionspräsident überhaupt ausrichten?

Krause: Man muss die Kirche im Dorf lassen: Der Kommissionspräsident ist einer von 28 Kommissaren. Er ist nicht einmal weisungsbefugt, hat also keine Richtlinienkompetenz wie ein deutscher Bundeskanzler. Es wird deshalb auch sehr darauf ankommen, wie die übrige Kommission aussieht. Und die Europäische Politik wird auch sehr stark von den Staats- und Regierungschefs bestimmt, außerdem von den Fachministern der Mitgliedsstaaten und vom Europäischen Parlament. Da ist der Kommissionpräsident ein wichtiger Spieler, aber nur einer unter vielen.

Aber er kann die Grundausrichtung in der Kommission bestimmen. Und immerhin ist die Kommission die einzige, die Gesetzgebungsvorschläge in Europa machen darf. Er kann auch vorgeben, ob sich die Kommission bescheidet auf das, was Europa wirklich tun muss, oder ob sie sich in diesen manchmal lächerlichen Detailregelungen verliert. Er kann auch dafür sorgen, dass die Kommission wieder unabhängiger wird. Die bisherige Kommission war schwach und wurde oft zum willfährigen Vollstrecker dessen, was ein bestimmter Mitgliedsstaat wollte. Aber wenn Juncker mit dem, was er will bei den anderen auf Granit beißt, ist seine Macht limitiert.

Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de