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Anti-Regierungs-Proteste in Bulgarien "Die alte Elite hält sich an der Macht"

Stand: 24.07.2013 19:16 Uhr

Die Proteste in Bulgarien sind Ausdruck einer neuen Zivilgesellschaft, meint der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia, Arndt. Im Interview mit tagesschau.de sagt er, warum die alte Elite noch immer das Sagen hat und weshalb Neuwahlen nur wenig brächten.

tagesschau.de: Seit 40 Tagen gehen die Demonstranten in Sofia täglich auf die Straße. Wogegen protestieren sie?

Marco Arndt: Im Februar gab es schon einmal Proteste in Bulgarien, die sich an den hohen Strompreisen entzündet hatten. Vor allem diejenigen, die ihre Stromrechnungen nicht mehr zahlen konnten, erhoben sich. Die jetzigen Proteste sind komplett anders. Ich bezeichne sie als Werteproteste im Gegensatz zu den Sozialprotesten Anfang des Jahres. Diesmal steht die Zivilgesellschaft auf: Der Mittelstand, junge Leute und Akademiker wehren sich gegen die neue sozialistische Regierung, die erst seit Ende Mai im Amt ist. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, im Parlament die Wahl des Medienmoguls Deljan Peewski zum Chef des Inlandsgeheimdienstes durchzusetzen. Und dies führte zu den aktuellen Protesten.

Die Entscheidung wurde zwar auf Druck der Straße wieder zurückgenommen, doch das Ganze war eine Farce: Gegen Peewski laufen Ermittlungen. Selbst der Geheimdienst, dessen Chef er beinahe geworden wäre, ermittelt gegen ihn. In dieser Position hätte er alle Unterlagen gegen sich einsehen können. Abgesehen von den Ermittlungen fehlte ihm die Qualifikation für das Amt. Das ist, als wenn Sie den Bock zum Gärtner machen würden. Die Personalie Peewski ist ein deutliches Signal, wie diese Regierung Politik zu machen gedenkt.

Zur Person

Marco Arndt leitet seit 2011 das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bulgariens Hauptstadt Sofia. Er ist promovierter Historiker. Neben Geschichte studierte er auch Germanistik.

"Verbindungen in die Staatssicherheit"

tagesschau.de: Und wie sieht diese Politik aus?

Arndt: Das ist relativ eindeutig. Die Sozialisten in Bulgarien sind keine sozialdemokratische Partei, sondern die alte umgewandelte Nomenklatura-Partei mit entsprechenden Verbindungen etwa in den bulgarischen Staatssicherheitsdienst - und diese Menschen werden entsprechend bedient. Es hat in Bulgarien nach 1990 zwar ein Systemwechsel stattgefunden. Die Strukturen sind rechtsstaatlich, aber es gab keinen Elitenwechsel. Die alten Eilten wollen sich nach wie vor an der Macht halten.

tagesschau.de: Und dagegen wird Tag für Tag demonstriert. Wie erleben Sie die Proteste vor Ort?

Arndt: Das fängt jeden Morgen an mit dem fast schon legendären Kaffeetrinken vor dem Parlament, zu dem sich die Demonstranten an Ständen versammeln. Und abends um 19 Uhr kommen dann bis zu 25.000 Menschen vor dem Sitz der Regierung zusammen. Dort gibt es die ersten Kundgebungen, ehe der sieben Kilometer lange Zug durch die Stadt beginnt, der sich dann gegen 22 Uhr wieder auflöst. Dieses Ritual findet seit 40 Tagen statt. Da läuft auf den großen Boulevards in Sofia nichts mehr. Wenn man nicht direkt bei den Demonstrationen ist, bekommt man im weiteren Umfeld Sofias davon aber nichts mit. Normalerweise sind die Proteste auch friedlich - bis auf Dienstag.

Die Demonstranten haben mit der Blockade des Parlaments eine rote Linie überschritten, die ich für sehr gefährlich halte. Denn bisher hatten sie sich an die Auflagen gehalten. Jetzt war es so, dass sie die Arbeit des Parlaments blockierten, wenn auch passiv und friedlich. Da schaukelt sich so eine Situation natürlich hoch - und dann kommt es zu Auseinandersetzungen auf beiden Seiten.

 

tagesschau.de: War der wochenlange Widerstand in der Bevölkerung, ausgelöst durch die Nominierung des Geheimdienstchefs, abzusehen?

Arndt: Meines Erachtens wurde die sozialistische Regierung von den Protesten überrascht, weil eine Zivilgesellschaft in der Form bisher nicht in Erscheinung getreten ist. Dass innerhalb von etwa zwei  Stunden nach Peewskis Nominierung die Proteste ausbrachen und mehrere zehntausende Menschen auf der Straße waren - organisiert über das Internet - damit hat die Regierung nicht gerechnet.

"Neuwahl würde Menschen nicht von der Straße holen"

tagesschau.de: Die Demonstranten fordern unter anderem Neuwahlen. Würde das die Situation entschärfen?

Arndt: Kaum. Das Problem besteht darin, dass die Demonstranten in den etablierten Parteien keine Alternative sehen, auch nicht in der bürgerlichen Partei GERB, die noch bis Februar regiert hatte. Insofern würde bei Neuwahlen ein Parlament herauskommen, das sich nur unwesentlich anders zusammensetzt - aber mit denselben Parteien und Personen. Deshalb würde eine Neuwahl sehr wahrscheinlich nicht die Menschen von der Straße holen.

Hinzu kommt: Die Demonstranten sind noch nicht in der Lage, sich parteipolitisch zu organisieren. Sie haben keinen Sprecher, kein gemeinsames Programm. In ihren Forderungen sind sie aber eindeutig: Kein Einfluss der Mafia und oligarchischer Strukturen, keine kommunistischen Altkader an den Schaltstellen der Macht - und damit einhergehend kein russischer Einfluss in der Energiepolitik. Ob alle diese Forderungen umgesetzt werden können, ist eine andere Frage. Aus Sicht der Demonstranten fehlt der Partner in der Politik.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt da der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew?

Arndt: Er ist der Einzige, der von den Demonstranten akzeptiert wird. Er wurde von der bürgerlichen GERB, sprich der Vorgängerregierung, nominiert. Er könnte ein Vorbild sein, gilt als politisch und finanziell unabhängig und war lange Zeit in Deutschland tätig. Doch im politischen System ist er in keiner starken Position. Er hat in etwa so viele Befugnisse wie in Deutschland der Bundespräsident.

Einfluss der EU begrenzt

tagesschau.de: Bulgarien ist seit 2007 ist EU-Mitglied - und ist damit, was Korruptionsbekämpfung angeht, höheren Standards verpflichtet. Warum schaut die EU jetzt weg?

Arndt: Die EU muss Bulgarien natürlich als souveränen Staat respektieren. Sie kann nur ein bisschen Druck ausüben, zum Beispiel über den Überwachungsmechanismus. Dieser sieht vor, dass alle sechs Monate Berichte über den Zustand des Justizsystems und des politischen Systems erstellt werden. Da war Bulgarien unter der konservativen Vorgängerregierung offenbar auf gutem Wege. Das zeigt sich daran, dass dieser Überwachungszyklus auf ein Jahr verlängert wurde. Das ist durch die aktuellen Entwicklungen aber wieder dahin. Das ist neben der Frage, ob wir den Schengen-Beitritt erlauben oder nicht, die einzige Möglichkeit der EU, Druck rechtlich auszuüben.

Aber man kann natürlich Gespräche führen wie bei der Staatskrise in Rumänien 2012 mit Premier Victor Ponta - und das würde ich auch in Bulgarien sehr empfehlen. Die Bundesregierung hat bereits deutliche Worte gefunden und EU-Justizkommissarin Viviane Reding war auch kürzlich in Sofia. Aber meines Erachtens müsste da der Druck noch erhöht werden.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.