Interview

Interview mit Erzbischof Gänswein "Franziskus fliegen die Herzen zu"

Stand: 13.03.2014 09:02 Uhr

Der neue Papst Franziskus setzt auf Reformen und einen anderen Stil als sein Vorgänger Benedikt XVI . Dessen Privatsekretär, Erzbischof Gänswein, wehrt sich dagegen, die Neuerungen als "Revolution" zu werten. Im ARD-Interview äußert er sich auch zum Führungsstil des Papstes.

ARD: Vor einem Jahr wurde Papst Franziskus gewählt. Dem vorausgegangen war der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. Was bedeutet dieser Schritt von Papst Benedikt im Rückblick für Sie?

Georg Gänswein:  Ich glaube, dass dieser Akt des Verzichtes überhaupt erst ermöglicht hat, was jetzt geschehen ist, was sich dann eröffnet hat; dass dieser revolutionäre Akt in der Tat etwas ist, was in der Kirche sehr viel bewegt hat und was natürlich dann durch die Person von Papst Franziskus auch in die Wege geleitet ist.

Zur Person

Erzbischof Georg Gänswein ist Präfekt des Päpstlichen Hauses. Für den inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI. arbeitet er seit 2003 als Privatsekretär.

ARD: Wie haben Sie den Tag der Wahl von Papst Franziskus erlebt? Nach dem Konklave sind Sie ja als einer der Ersten dazugeholt worden.

Gänswein: Wir kamen hinein in die Sixtinische Kapelle. Da war eine lange Schlange von Kardinälen, die in Richtung Papst Franziskus gingen. Und nach den Kardinälen waren dann wir drei Erzbischöfe dran. Bevor ich mich an ihn wenden konnte, hatte er mir selber auf Deutsch eine Frage gestellt. Ich war sehr überrascht. Er fragte: 'Wie geht es Papst Benedikt?' Dann ist er ins Italienische gewechselt und wir haben ein bisschen gesprochen, und ich habe dann Obödienz (Gehorsam) und Referenz gelobt.

"Das ist die Herzenssprache"

ARD: Papst Franziskus hat in diesem einen Jahr sehr viel angestoßen. Er pflegt einen anderen Stil als Papst Benedikt, er pflegt einen sehr direkten Kontakt zu den Menschen. Ich glaube, das wäre nicht der Stil von Papst Benedikt XVI.

Gänswein: Das ist kein Geheimnis. Es reicht, einmal bei einer Generalaudienz dabei gewesen zu sein oder bei anderen kleineren Audienzen. Der Stil, vor allem die Gestik von Papst Franziskus, unterscheiden sich sehr stark vom Stil und der Gestik von Papst Benedikt. Das ist eine ganz natürliche Sache. Jeder Papst hat seine Art, hat seinen Stil und den bringt er ins Papstamt hinein. Er bleibt, wer er ist. In der Tat ist es so, dass bei Papst Franziskus der Direktkontakt, auch der physische Kontakt, eine große Rolle spielt. Da merkt man einfach den anderen Charakter, da merkt man den Südamerikaner. Dieser Charakter kommt an, er wird verstanden, er wird honoriert und es fliegen ihm die Herzen zu. Ich glaube nicht, dass dies eine strategische Aktion ist, um zu einem bestimmten Ziel zu kommen, sondern das ist wirklich die Herzenssprache. Die Menschen verstehen das, sie nehmen das an und antworten in der gleichen Weise.

ARD: Dazu kommt eine unglaubliche Spontanität. Wie anstrengend ist es für einen seiner engsten Mitarbeiter, mit dieser Spontanität des Papstes zu leben?

Gänswein: Jede Umstellung erfordert natürlich auch ein bisschen innere Kraftanstrengung. Das ist ganz normal, das darf man auch erwarten. Es ist wahr, Papst Franziskus ist für manche Überraschung gut. Und dann geht es darum, sich auf die Person einzustellen, auch auf die Überraschungen und tatsächlich mit einem Stand- und einem Spielbein ans Geschäft zu gehen. Inzwischen habe ich mich gut daran gewöhnt. Wir kommen sehr gut zurecht und tun das, was wir können, um ihm - Papst Franziskus - behilflich zu sein, ihm zu dienen.

ARD: Gefällt Ihnen der Begriff "Revolution von oben"?

Gänswein: "Revolution von oben" gefällt mir deshalb nicht, weil es zunächst eine Worthülse ist, die in Bezug auf den Inhalt leer ist. Wahr ist, dass bestimmte Änderungen, dass bestimmte Anstöße da sind, die ich aber nicht als "Revolution" bezeichnen möchte. Oft ist es ja so, dass bei der Revolution auch Blut fließt. Bisher ist keins geflossen, es wird auch keins fließen. Entscheidend ist, dass die Impulse, die Papst Franziskus gibt, verstanden werden, dass sie angenommen werden und - vor allem - dass darauf auch reagiert wird.

ARD: Der theologische Schlüsselbegriff dieses Papstes, den wir praktisch bei jeder Predigt hören, ist das Wort Barmherzigkeit. Wie geht es Ihnen denn als Mitarbeiter? Ist er denn ein barmherziger Chef oder kann er auch mal auf den Tisch hauen?

Gänswein: Das Schlüsselwort Barmherzigkeit ist umzusetzen in Alltagsmünzen. Und so wie ich Papst Franziskus Tag für Tag erlebe, muss ich sagen: Er versucht auch, sich selbst beim Wort zu nehmen auch in der konkreten Begegnung mit den Menschen, die um ihn sind oder die ihn empfangen. Er ist ein sehr humorvoller Mensch, ein Mensch, der auch gerne lacht, aber ein Mensch, der weiß, was er möchte, und deutlich sagt, was er möchte. In der Form ist er sehr, sehr klar. Im Inhalt noch deutlicher.

"Das ist keine Kritik am Vorgänger"

ARD: Was mich immer wieder überrascht, ist diese enorme innere Freiheit. Papst Benedikt hat sich demütig dem Protokoll, der Tradition unterworfen. Franziskus hat sich in den Bus gesetzt, gemeinsam mit den anderen Kardinälen. Das wirkt so, als hätte er sich vorher schon Gedanken gemacht: Was mache ich anders als mein Vorgänger?

Gänswein: Ich glaube nicht, dass sich Papst Franziskus schon vorher Gedanken gemacht hat und überlegt hat: 'So war es bisher, jetzt mach ich es aber anders.' Sie haben das Beispiel genannt, als er nach seiner Wahl vom 'Damasus Hof' zurück ins Gästehaus 'Sancta Martha' gefahren ist - nicht mit dem Auto, das ihm zur Verfügung steht, sondern eben mit dem Bus. Ich glaube einfach, dass er gerade am Anfang seines Pontifikats alles so gemacht hat wie als Kardinal auch. Da sehe ich jetzt aber keine revolutionäre Veränderung. Das ist einfach er, wie er leibt und lebt. Und das ist sehr sympathisch und authentisch, aber nicht als Zeichen: 'Ich bin mit dem, was vorher war, nicht einverstanden.' Da muss man das, was er tut, nicht zunächst als Opposition oder gar als Kritik am Vorgänger oder an den Vorgängern sehen. Das ist eine falsche Leseweise, die einfach zu falschen Schlüssen führt.

ARD: Sie sind der Präfekt des Päpstlichen Hauses, eines Päpstlichen Hauses, in dem kein Papst mehr wohnt. Er hat es vorgezogen, im Gästehaus wohnen zu bleiben. Bedauern Sie, dass Sie diese unmittelbare Nähe zum Papst nicht mehr haben?

Gänswein: Der Wohnort hat mit der Nähe nicht direkt etwas zu tun. Papst Franziskus wohnt nicht mehr im 'Appartamento', also in der dritten Loggia des päpstlichen Palastes, sondern in 'Sancta Martha'. Aber er kommt jeden Tag, um im päpstlichen Palast in der zweiten Loggia Audienzen zu halten. Insofern ist der Kontakt genauso da, wie wenn er im Palazzo wohnen würde. Es war seine Entscheidung, in 'Sancta Martha' zu wohnen. Die habe ich nicht zu kommentieren, die habe ich zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend auch zu handeln. Er hat sich das gut überlegt. Er selbst hat auch die Gründe genannt, warum er wohnt, wo er wohnt. Das sehe ich jetzt aber auch nicht als Kritik am Vorgänger oder an den Vorgängern, sondern das ist eine urpersönliche Entscheidung, die er zu verantworten hat und mit der er gut lebt.

Das Interview führte Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom

Das Interview führte Tilmann Kleinjung, BR