Frage vom 18. April 2011 Lassen sich Atomruinen nach Zeitplan aufarbeiten?

Stand: 18.04.2011 18:14 Uhr

Mit einem Zeitplan für die "Sanierung" der Unglücksreaktoren von Fukushima will die Betreiberfirma Tepco Zuversicht verbreiten. Doch wer soll daran glauben, solange nicht einmal die Explosionsgefahr gebannt ist?

Fünf Wochen nach der Reaktorenkatastrophe von Fukushima soll das Leben in der verstrahlten Region in Japan wieder eine Perspektive bekommen – da kommt der gerade verkündete Zeitplan für die “Sanierung” der defekten Reaktoren kurz vor dem Jahrestag von Tschernobyl nächste Woche gerade recht. Ein Zeitplan setzt freilich üblicherweise eine gewisse Planbarkeit voraus. Klare Strukturen, überschaubare Aufgaben, delegiertes Handeln. Die Ruinensicherung havarierter Reaktoren macht da keine Ausnahme.

Super-GAU-Sanierung nach Zeitplan

“Ein schlimmes Unglück, klar, aber jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, jetzt ist der Zeitplan da und alles wird gut, oder? Spätestens in sechs Monaten. Und dann, liebe Anwohner, dann erhalten 50.000 Haushalte insgesamt 415 Millionen Euro und auf dem Zeitplan wird nachzulesen sein, wann ihr zurückkehren könnt in eure Häuser.” So klingt für mich die Botschaft von Tepco. Ich hör’ sie wohl, doch es fehlt der Glaube. Woher, frage ich mich, nimmt Tepco die Grundlagen für einen solchen Zeitplan? Roboter haben am Wochenende in den defekten Reaktorblöcken 1 und 3 in nur einer Minute eine Strahlungsmenge gemessen, die fast einer halben natürlichen Jahresdosis für Menschen entspricht. Menschen können dort nicht arbeiten.

Die Strahlung, sagt dennoch die Atomsicherheitsbehörde, werde den Zeitplan nicht gefährden, innerhalb von neun Monaten das havarierte Kraftwerk unter Kontrolle zu bringen. Warum, bitte, soll ich das glauben? Höchstens doch, weil die Vorstellung allzu sehr ängstigt, dass es noch Jahre brauchen könnte, bis die strahlenden Atomruinen von Fukushima aufhören, ihre Umgebung zu belasten? Die meisten freigewordenen Isotope in Fukushima haben wie Cäsium-137 lange Halbwertszeiten, werden also jahrelang in nahezu gleicher Intensität strahlen. Ein paar Monate machen da nicht viel aus, die Rechnung geht eher in Richtung auf Jahrzehnte (siehe Tschernobyl).

Probleme mit der Reaktorkühlung und Kühlwasserlecks

Wenn nur überhaupt die Reaktoren endlich so abgekühlt wären, dass keine Explosionsgefahr etwa durch Wasserstoffgas mehr droht und keine herben Überraschungen die Aufräumarbeiten behindern könnten. Doch davon sind sie noch weit entfernt. Immer wieder kommt es derzeit an den Reaktoren zu erhöhten Radioaktivitätswerten, die keiner erklären kann (oder will). Am Wochenende war’s wieder strahlendes Jod, das angesichts einer Halbwertzeit von acht Tagen jüngeren Datums sein muss. Wo kam das her?

Nicht mal das hochgradig verstrahlte Wasser aus einem Tunnelschacht konnte bisher abgepumpt werden, im Gegenteil, der Wasserstand stieg um einige Zentimeter, lese ich. Angesichts von täglich eingepumpten 170.000 Liter Wasser kein Wunder, von denen ein Teil verstrahlt und unkontrolliert aus den Trümmern in die Umgebung sickert. Mit Filterstoffen aus Aluminiumsilikaten soll jetzt das radioaktive Abwasser aus dem Reaktor gereinigt werden.

Weiterhin Gefahr von Wasserstoffexplosionen

Oder Reaktorblock Nummer 2, in dem sich wahrscheinlich schon länger explosives Wasserstoffgas gebildet hat. Das Problem lässt sich vielleicht durch Zuleitung von Stickstoff mindern, damit die Explosionsgefahr geringer wird. Das wird auch gemacht. Dennoch: Der Wasserstoff könnte bereits kurze Zeit nach dem Unfall den großen, runden Filter beschädigt haben, der normalerweise am Boden des Reaktordruckbehälters im Störfall einen Austritt verstrahlter Teilchen verhindern soll. Damit würde es wesentlich schwieriger, wie geplant Kühlwasser in das Betoncontainment um den Druckbehälter zu leiten, um Hitze abzuleiten. Das könnte misslingen, räumt laut CNN der Betreiber Tepco selbst ein.

Um Iitate Strahlenwerte von 20 Milisievert

Ein letztes noch: Im Dorf Iitate, 40 km nordwestlich der Reaktoren, sind seit dem Unfall inzwischen 20 Millisievert Strahlendosis aufgelaufen. Das ist das zehnfache der normalen Strahlendosis für ein Jahr und die Hälfte dessen, was die japanische Regierung für langfristige Evakuierungen als Grenzwert gesetzt hat. Die hohe Strahlenbelastung um Iitate angeprangert haben freilich zunächst Greenpeace und die Internationale Atomenergiebehörde, nicht die japanischen Behörden. Wäre ich Anwohner, ich würde nur eins wollen: weg. Was ohne die nötigen Finanzmittel schwierig ist. Mit den versprochenen 8.300 Euro pro Haushalt kommt man nicht weit.

Beruhigung der Bevölkerung durch Schönfärberei

Nehmen wir’s positiv, dann ist der jetzt verkündete Zeitplan der Versuch, etwas Struktur und Ordnung in eine bisher nach wie vor chaotisch und hilflos wirkende Situation zu bringen. Die Botschaft lautet: „Bitte, liebe Ex-Anwohner in euren Notunterkünften, seid weiter geduldig. Es wird noch viele Monate dauern, bis ihr wieder zurück könnt, aber wir tun, was wir können.“ Das ist bitter wenig und wirkt teilweise als Schönfärberei. Eine Dekontaminierung wird sich darauf beschränken, die Trümmer und den Schrott der Fukushima-Reaktoren zunächst zu versiegeln, um sie dann in ein Endlager zu bringen (das noch nicht existiert). Die oberen Bodenschichten von mindestens 20 Zentimeter abzutragen und über viele Jahrzehnte sicher zu lagern oder je nach Belastung auch in ein Endlager zu bringen, dürfte kaum möglich sein. Schon wegen der Menge des anfallenden Materials. Und bereits jetzt liegen die absehbaren Kosten der Reaktorkatastrophe bei Dutzenden Milliarden Euro. Die landwirtschaftlichen Böden werden großflächig gesperrt bleiben müssen.

Wichtig wären nach wie vor „ehrliche“ Evakuierungen nach Faktenlage, nicht politisch motiviert. Doch das ist wohl Wunschdenken. Nach dem Unfall von Tschernobyl zeigte sich, dass immer wieder außerhalb eines 30-Kilometer-Radius regional stark belastete Zonen aufgetreten sind, die eine Nachevakuierung nötig machten. Nach wie vor bin ich nicht überzeugt, dass der derzeit ausgewiesene Evakuierungsradius um die Reaktoren von Fukushima groß genug ist, um die in der Region lebenden Menschen bestmöglich zu schützen. Daran ändert auch der neue Zeitplan nichts.

Fragen zu Fukushima

Die SWR-Uweltredakteure Werner Eckert und Axel Weiß haben im Blog zahlreiche Fragen zu Fukushima beantwortet. tagesschau.de hat diese ursprünglich für das Blog verfassten Texte nun zu einem Dossier zusammengefasst.