Syrische Flüchtlinge Endloses Warten auf die Familie

Stand: 04.09.2015 21:57 Uhr

Syrische Flüchtlinge, die ihre daheimgebliebenen Familien nach Deutschland holen wollen, müssen bis zu 15 Monate warten, bis ihr Antrag bearbeitet wird. Das treibt viele in die Hand von skrupellosen Schleppern. Dabei ginge ein Antrag viel schneller - per Mail.

Von Michael Stempfle, ARD Berlin

Ein anerkannter Flüchtling muss derzeit oft lange warten, wenn er seine Frau und seine Kinder aus Syrien zu sich holen möchte. Bei deutschen Botschaften oder Generalkonsulaten kann es zu Wartezeiten von bis zu 15 Monaten und mehr kommen. Dies ergibt sich aus der Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei, die dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt.

Diese Wartezeiten sind nicht nur ein Ärgernis. Sie bergen auch eine große Gefahr in sich: Wenn der Ehepartner und die Kinder des anerkannten Flüchtlings die Situation vor Ort nicht länger aushalten - etwa weil sie dem Bombenhagel in Syrien ausgesetzt sind - verzichten sie auf ihr gutes Recht des Familiennachzugs. Sie begeben sich stattdessen in die Hände von profitgierigen, skrupellosen Schleppern. Diese locken mit einer schnelleren Reise nach Deutschland.

Lange Wartezeiten vor allem in Istanbul

Lange Wartezeiten sind keineswegs ungewöhnlich. Es komme immer wieder vor, dass sich eine Familie trennt und sich nicht gemeinsam auf die Flucht nach Europa begibt, berichtet Sebastian Muy, Sozialarbeiter bei einer Berliner Beratungsstelle für Flüchtlinge. Es gebe zum Beispiel Väter, die das Risiko der Flucht zunächst allein eingehen und Frau und Kinder erst später zu sich holen wollten.

Was sie dann zu tun haben, wird ihnen in der Beratungstelle erklärt: Die Familien, die noch im Herkunftsland oder irgendwo auf der Flucht sind, müssen einen Antrag stellen - bei einem der deutschen Generalkonsulate oder einer deutschen Botschaft. Vor allem bei den Anlaufstellen in der Türkei kommen dann ungewöhnlich lange Wartezeiten auf sie zu: Bei der Botschaft in Ankara sind es mehr als 13 Monate, beim Generalkonsulat in Istanbul mehr als 15 Monate, beim Generalkonsulat in Izmir acht Monate. Die Bearbeitungszeit, in der Regel sind das zusätzlich noch einmal wenige Wochen, noch nicht mit eingerechnet.

Einscannen und einfach per Mail verschicken

Auffallend ist, dass die Verfahren in anderen Ländern, etwa im Libanon, kürzer sind. In der Antwort aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass die Wartezeit in Beirut wenige Wochen bis drei Monate beträgt. Hintergrund ist offenbar, dass es im Libanon für die Beantragung von Familiennachzug ein E-Mail-Verfahren gibt. Antragsteller können ihre Unterlagen einscannen und der Botschaft unkompliziert zuschicken. Das habe zunächst zu einer spürbaren Verbesserung geführt, bestätigt auch Sozialarbeiter Muy.

"Warum können Betroffene nicht, wie im Libanon, ihren Visumantrag per E-Mail stellen?", kritisiert Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei "Dann könnten die Anträge wesentlich effizienter sowohl vom Personal in den Visastellen als auch in Deutschland geprüft werden und die Betroffenen würden zeitnah einen Termin zur Vorsprache in der Botschaft erhalten."

Jelpke fordert eine Verkürzung der Wartezeiten. Das Auswärtige Amt betont, dass es genau so eine Verkürzung an den Auslandsvertretungen in der Türkei auch anstrebt. Es verweist aber auf ein anderes System, das offenbar nicht so schnell funktioniert: "In der Türkei werden Termine durch den externen Dienstleister iDATA nach Vorgaben der Botschaft vergeben und verwaltet, es wird jeweils- gemäß der IT-technischen Einstellungen - der frühestmögliche Termin vergeben."

Ein Mittel, um Schleppern das Geschäft zu erschweren

Warum man an dem iDATA-Verfahren festhält, geht aus der Antwort nicht hervor. Allerdings: Auch im Libanon verlängere sich aktuell die Wartezeit für den Familiennachzug, beschreibt Muy aus seiner Erfahrung. Sicherlich auch wegen der gestiegenen Zahl von Antragstellern. Dennoch würden viele Anträge auf Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen in der Türkei gestellt. Der Grund: Für viele sei der Weg in die Türkei ungefährlicher, weil sie beispielsweise nicht durch IS-Gebiet reisen müssten. Außerdem würden im Nord-Irak die Antragsteller direkt an die Konsulate in der Türkei verwiesen.

Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Lange Wartezeiten beim Familiennachzug erhöhen die Gefahr, dass sich Menschen in die Hände von Schleppern begeben. Umgekehrt wäre eine Verkürzung dieser Wartezeit ein Mittel, Schleppern das Geschäft zumindest etwas zu erschweren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 05. September 2015 um 20:00 Uhr.