EuGH zu Transitzonen in Ungarn Mit EU-Recht nicht vereinbar

Stand: 14.05.2020 14:00 Uhr

Ein Ehepaar und ein Vater mit seinem Sohn warten seit mehr als einem Jahr in einem ungarischen Transitlager auf den Ausgang ihrer Asylverfahren. Der EuGH sagt nun klar: Das ist eine unzulässige Haft.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 versuchten Tausende Menschen, über die Balkanroute in die Europäische Union zu gelangen. In der Folge schottete EU-Mitglied Ungarn seine Grenzen zu Serbien mit Zäunen und Sperranlagen ab. Trotzdem gelangen noch immer Migranten nach Ungarn.

Wer in dem Land Asyl beantragt, muss nun in einer Transitzone unmittelbar an der Grenze zu Serbien den Ausgang des Verfahrens abwarten - entweder in Röszke oder Tompa. Die Camps sind umzäunt und bewacht. Teilweise verbringen die Menschen hier Monate.

Menschen können nicht "aus eigenen Stücken" raus

Aus Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist das eine unzulässige Inhaftierung von Asylbewerbern. Denn die Menschen dort könnten "die Transitzone aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen". Auch nicht in Richtung Serbien, weil dies von den serbischen Behörden als rechtswidrig angesehen würde und Migrantinnen und Migranten deshalb mit Sanktionen rechnen müssten. Außerdem könnten sie dadurch jegliche Aussicht auf Anerkennung als Flüchtlinge in Ungarn verlieren.

Das EU-Recht verbietet zwar nicht jede Inhaftierung von Asylbewerbern - sie darf aber nur aus bestimmten Gründen angeordnet werden und muss verhältnismäßig sein. Schutzsuchende dürfen jedenfalls nicht allein deshalb in Haft genommen werden, weil sie nicht in der Lage sind, für ihren Unterhalt zu sorgen, wie der EuGH klarstellte.

Für die unmittelbare Grenzregion gilt außerdem: Die EU-Länder dürfen Menschen zwar zwingen dort zu bleiben, um vor ihrer Einreise prüfen zu können, ob ihr Asylantrag zulässig ist. Eine solche Inhaftierung dürfe aber maximal vier Wochen dauern, so der EuGH. Wenn bis dahin keine Entscheidung über den Asylantrag getroffen werden könne, müsse Schutzsuchenden die Einreise gestattet werden.

EuGH fordert "unverzügliche Freilassung"

Geklagt hatten ein afghanisches Ehepaar sowie ein Vater und sein Sohn aus dem Iran. Sie hatten im Februar 2019 beziehungsweise im Dezember 2018 erfolglos in Ungarn Asyl beantragt. Zunächst sollten sie nach Serbien zurückgeschickt werden, doch das Land weigerte sich, die Menschen aufzunehmen. Die ungarischen Behörden änderten das Ziel für die Rückführung daraufhin um in Afghanistan beziehungsweise Iran.

Unterstützt durch die ungarische Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee klagten die beiden Familien vor einem ungarischen Gericht, das dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des europäischen Asylrechts vorlegte. Die Luxemburger Richterinnen und Richter entschieden darüber nun in einem Eilverfahren.

der ungarische Grenzübergang Röszke

Die Bedingungen im Lager am Grenzübergang Röszke seien "einer Freiheitsentziehung gleichzusetzen", so der EuGH.

Formal muss nun das ungarische Gericht prüfen, ob die Inhaftierung des Ehepaars und des Vaters sowie seines Sohns unzulässig war - die Vorgaben des EuGH dazu sind jedoch sehr deutlich. Der Gerichtshof machte dabei auch klar, Folge einer unzulässigen Inhaftierung muss eine "unverzügliche Freilassung" der Menschen sein.

Auch die EU-Kommission ist mit den ungarischen Transitlagern nicht einverstanden. Sie hatte deshalb im Dezember 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn angestoßen. Der EuGH hatte darüber im Februar verhandelt. Ein Urteil steht noch aus.

Menschenrechtsgerichtshof hatte ähnliche Klagen abgewiesen

Im November 2019 hatte sich aber bereits ein anderes internationales Gericht zu den ungarischen Transitzonen geäußert: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg - ein Organ des Europarats, dem sowohl Ungarn als auch Serbien angehören. Der Menschenrechtsgerichtshof hatte die Beschwerde von zwei Asylbewerbern aus Bangladesch abgewiesen. Sie hatten 2015 23 Tage in einer Transitzone in Röszke ausgeharrt, bis sie nach Serbien zurückgebracht worden waren.

Die Straßburger Richterinnen und Richter argumentierten: Die beiden Männer seien freiwillig in das Transitzentrum gegangen und Richtung Serbien hätten sie es jederzeit wieder verlassen können. Der Aufenthalt in dem Lager sei deshalb auch kein faktischer Freiheitsentzug.

Auch die Angst, ihren Anspruch auf ein Asylverfahren in Ungarn zu verlieren, wenn sie das Land verließen, habe die Möglichkeit, das Camp zu verlassen, nicht rein theoretisch werden lassen.

Anders als die Familien, über deren Fälle der EuGH jetzt entschied, konnten die beiden Männer aus Bangladesch aber tatsächlich auch nach Serbien zurückkehren. Das Land hatte ihre Aufnahme damals nicht verweigert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Mai 2020 um 11:00 Uhr.