Prostitution in Straßburg EU-Abgeordnete streiten um Rotlichtring

Stand: 29.10.2008 21:49 Uhr

Eigentlich arbeiten sie in Brüssel, aber einmal im Monat fallen die knapp 800 Abgeordneten des EU-Parlaments und ihre Mitarbeiter ins beschauliche Straßburg ein. Es sind die Tage, in denen die Prostitution boomt. Nun fordern einige Abgeordnete, dass Parlamentspräsident Pöttering handelt.

Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Straßburg

Der Brief liegt vor, sein Inhalt ist anstößig und so wie es aussieht, wird er noch für viel Ärger sorgen im Europäischen Parlament. 37 Abgeordnete aus Skandinavien verlangen vom Präsidenten, etwas gegen die Förderung der Prostitution durch europäische Volksvertreter zu tun. Demnach sollten sich EU-Abgeordnete nur noch in Hotels einquartieren, die Prostituierten keinen Zugang gewähren.

"Wir wollen saubere Hotels"

Es gehe gar nicht darum, ob man Prostitution nun verbieten oder legalisieren solle, meint die dänische Abgeordnete Karin Riis Jörgensen, die den Brief mit initiierte. "Es geht uns darum, dass wir während der Straßburger Parlamentswoche nicht in Hotels wohnen wollen, wo Prostituierte sind." Wenn einige der Kollegen eine Party mit einer Prostituierten feiern wollten, sollen sie sonst wo hin gehen, so Jörgensen. "Aber nicht dahin, wo wir untergebracht sind. Wir wollen einfach saubere Hotels."

Die Reaktion auf diese Forderung war bislang aber eher verhalten im Europäischen Parlament. Der christlich soziale EU-Abgeordnete Manfred Ferber aus Bayern meint: "Zunächst war ich überrascht, dass es einen solchen Brief gibt. Ich bin seit über elf Jahren im gleichen Hotel und habe bislang noch nichts beobachtet." Wie Ferber fürchten jetzt viele der fast 800 Parlamentarier, der Brief trage nicht dazu bei, Prostitution zu bekämpfen - er beschädige vielmehr das Ansehen des Europäischen Parlaments und seiner Vertreter.

Metropole für käuflichen Sex

Die Sorge um die politische Reputation ändert allerdings nichts an den Fakten: Das beschauliche europäische Straßburg ist tatsächlich eine Metropole für käuflichen Sex. Und die Parlamentswoche bringt Kundschaft: Beamte, Journalisten, Politiker.

"Das passiert mir immer wieder", sagt Jana aus Tschechien. Sie werde dann ins Hotel gebracht, wo der Kunde auf sie warte. Meistens bezahle er gut. Und alles sei sehr diskret, nicht wie auf dem Parkplatz. Ein Rezeptionist beim Europäischen Parlament habe ihr auch schon angeboten, Kundschaft zu besorgen. Sehr diskret, gut bezahlt.

M. Durm, ARD Straßburg, 29.10.2008 19:36 Uhr

Fest in der Hand der Mafia

Route du Rhin, Boulvard de Nancy, Quai Pasteur, Avenue des Voges – rund ums historische Fachwerkzentrum legt sich ein Rotlichtring, den die osteuropäische Zuhältermafia im Rotationsverfahren beliefert. Zurzeit sind Zwangsprostituierte aus Rumänien, Bulgarien und Tschechien auf dem Strich. Manchmal kommen 500 Euro zusammen in einer Nacht, sagt Jana, aber fast alles muss sie dem Zuhälter geben. Für sie bleibt gerade genug, um Hotel, Essen, Kleider zu zahlen.

Jana ist 29 Jahre alt und Mutter von drei kleinen Kindern. Früher war sie Angestellte in einer Instrumentenfabrik und baute Gitarren, Cellos und Violinen. Dann versprach ihr der Mann ihrer Cousine eine Reise nach Straßburg: "Er hat gesagt, das sei das Paradies, ich könne viel Geld als Kellnerin oder Zimmermädchen verdienen. Es sei wunderbar", sagt Jana. Sie sei Nachmittags um vier Uhr in Straßburg angekommen. "Und am Abend schickten sie mich schon auf den Strich."

"Bin gespannt, was Herr Pöttering von der CDU dazu sagt"

Drogen und Druck und die Drohung, der Familie zuhause Gewalt anzutun – das macht die Frauen gefügig. Die Europäische Union hat sich bislang nicht darauf einigen können, ob es besser ist,  solche Fälle als Prostitution oder als Zwangsprostitution zu definieren. Ob es sinnvoller ist, käuflichen Sex wie in Dänemark zu verbieten, wie in Frankreich zu beschränken oder wie in Deutschland zu legalisieren. Jedes Mitgliedsland hat sein eigenes Verhältnis zum Rotlichtmilieu, was den EU-weiten Kampf gegen Menschenhandel erschwert.

Derweil fühlen sich die Abgeordneten des EU-Parlaments in ihrem Ansehen beschädigt, wenn ihre Kollegin Jörgensen öffentlich darüber redet. Da könne sie nur lachen, sagt sie, es gehe hier doch nicht um Reputation. "Ich bin sehr gespannt, wie Parlamenspräsident Pöttering reagieren wird, er ist schließlich von der CDU und sieht unsere Initiative sicher positiv", so Jörgensen.

Parlaments-Präsidium unter Druck

"Ich bin ja gezwungen, mich damit zu beschäftigen, weil es diesen Brief gibt. Der Brief hat viel Wirbel ausgelöst. Das Präsidium des Europäischen Parlaments hat gebeten, dass der Ältestenrat sich mit der Frage befasst. Wir sollten das mit der nötigen Ernsthaftigkeit untersuchen, aber auch jede Form der übertriebenen Darstellung vermeiden", sagt der Präsident des Europäischen Parlaments und macht ein Gesicht, als habe er gerade in ein faules Stück Obst beißen müssen.

Am 15. Oktober veröffentlichte die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament eine umfangreiche Studie zu Zwangsprostitution und Menschenhandel in der EU. Sie kommt zu dem Schluss, dass es notwendig sei, einerseits gemeinsame neue Strategien zu diskutieren, andererseits auf nationale Ebene für deren Anwendung zu sorgen. Jana, die Frau aus Tschechien, die in Straßburg verkauft wird, dürfte nicht allzu viel davon haben. Sie wolle so gerne damit aufhören, so könne man nicht weiterleben. "Ich will endlich wieder wie ein normaler Menschen auf die Straße gehen. Aber es gibt eben viele, die von mir profitieren."