Datenschützer kritisieren Telekom-Paket der EU Beipackzettel für Internetnutzer - oder Zensur-Klausel?

Stand: 21.09.2008 18:22 Uhr

Vier große Richtlinien, ungezählte Unterpunkte: Das EU-Telekom-Paket soll umfangreiche Neuregelungen in Sachen Mobilfunk, Telefon und Internet bringen und verspricht Verbrauchern viele Vorteile. Doch Kritiker befürchten, dass über eine Klausel plötzlich auch kontrolliert werden könnte, wozu Verbraucher das Internet nutzen.

Von Fiete Stegers, tagesschau.de

"EU-Parlament deckelt Auslandstarife" oder "EU-Kommission will Daten-Roaming billiger machen" - verbraucherfreundliche Regelungen im Telekommunikationssektor sind eines der wenigen Politikfelder, auf denen sich die Europäische Union regelmäßig über positive Schlagzeilen freuen kann. So hatten sich die Verantwortlichen in Kommission und Parlament in Brüssel das auch beim so genannten Telekom-Paket vorgestellt, über das das Europäische Parlament ab Montag berät. Vier EU-Richtlinien sollen den Rechtsrahmen für ein weites Feld abstecken: von der Vergabe von Funkfrequenzen über Verbesserungen bei Notrufnummern und neue Datenschutzregeln für Internetnutzer bis zur Höchstdauer eines Handy-Vertrages. "Ein gemeinsamer Markt für 500 Millionen Verbraucher" schwärmt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in einer Pressemitteilung.

"Rechtmäßige" und "unrechtmäßige" Inhalte

"90 Prozent der Regelungen sind gut gelungen", sagt Markus Beckedahl, Datenschutz-Aktivist und Betreiber des Weblogs netzpolitik.org, gegenüber tagesschau.de. Doch er und andere Kritiker haben unter den unzähligen und für Laien schwer verständlichen Unterpunkten der vier Richtlinien etwas ausfindig gemacht, das ihrer Meinung nach alles andere als verbraucherfreundlich ist, sondern ein Einfallstor zur staatlichen Kontrolle von Inhalten im Internet darstellt. In einem Entwurf für die Universaldiensterichtlinie ist von "rechtmäßigen" und "unrechtmäßigen" Inhalten der Internetkommunikation die Rede. Den Behörden soll außerdem ermöglicht werden, User mit Hilfe der Internet-Provider über mögliche Copyright-Verstöße und andere Ungesetzmäßigkeiten zu "informieren".

Frankreich will Internet-Zugänge sperren

Für Beckedahl und andere Datenschutz-Aktivisten wie die französische Gruppe "La Quadrature du Net" ist das ein Tabubruch. "Diese Richtlinien sollten eigentlich nur technische Fragen regeln. Regelungen, die Inhalte der Kommunikation betreffen haben da nichts zu suchen. Und wer bestimmt künftig, was rechtmäßige Inhalte sind?" So fragen sich zum Beispiel im Internet-Nutzer von veränderbarer Open-Source-Software, ob diese dann in den Augen der EU auch als rechtmäßig eingestuft würde. Beckedahl befürchtet, dass die Klausel letztlich Internet-Beschränkungen etwa für Nutzer von Peer-2-Peer-Tauschbörsen bedeuten könnte. Dafür gibt es ein Vorbild: In Frankreich, das zur Zeit den EU-Vorsitz innehat, wurden bereits Regelungen auf den Weg gebracht, denen zufolge Internet-Nutzer bei dreimaligem Verstoß mit Sanktionen zu rechnen haben - bis zur Sperrung ihres Internet-Zugangs.

Erfolg der Musikindustrie?

Datenschutz-Verfechter wie Beckedahl und Abgeordnete anderer Fraktionen machen deshalb neben konservativen Abgeordneten aus Frankreich die Lobbyarbeit der Musikindustrie und andere Rechteinhaber für die von ihnen kritisierten Formulierungen verantwortlich. So fordert etwa auch die Kampagne "Hart aber gerecht" der deutschen Filmindustrie, die ein scharfes Vorgehen gegen Raubkopierer propagiert und Nachahmer abschrecken will, dass Internet-Provider bei der Verfolgung von potenziellen Urheberrechtsverletzungen stärker mit ihr kooperieren. Sollte sich diese Linie durchsetzen, sieht Beckedahl die Rolle des Netzes als neutraler Übertragungsweg gefährdet.

Auch Hustinx sieht Einstieg in Internetkontrolle

Auch der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx sieht einen möglichen Einstieg in die Internetkontrolle: Inhalte der Telekommunikation dürften nicht generell von Privatfirmen wie Copyright-Inhabern oder Internet-Providern überwacht werden. Aus Datenschutzgründen sei Inhalte-Überwachung überhaupt nur in einzelnen, begründeten Verdachtsfällen auf Urheberrechtsverletzungen im großen Stil vertretbar. Dass die Provider ihre User über mögliche "unrechtmäßige" Inhalte informieren, gehört seiner Ansicht nach deshalb auch nicht ins Paket.

Der für die kritisierte Richtlinie verantwortliche EU-Abgeordnete Malcolm Harbour kann die Bedenken gegen eine mögliche Auslegung zur Internet-Kontrolle nicht nachvollziehen und zieht einen Vergleich zum Beipackzettel bei Medikamenten, der über potenzielle Nebenwirkungen informiert: "Verbraucher haben das Recht, über problematische Inhalte, die Urheberrechtsverletzungen bedeuten können, informiert zu werden."

Sind IP-Adressen persönliche Daten?

Ein weiterer von Datenschützern kritisierter Punkt ist die Frage danach, ob IP-Adressen als persönliche Daten eingestuft werden sollen oder nicht. Der Datenschutzbeauftragte Hustinx sieht keinen Grund, die bisherigen Formulierungen zur Definition persönlicher Daten für diese Nummern aufzuweichen, die jeder Internetnutzer von seinem Provider zugeteilt bekommt. Andere, wie der deutsche EU-Abgeordnete Alexander Alvaro (FDP), sind dagegen der Meinung, dass User nicht in allen Fällen technisch über die IP-Nummern identifizierbar sind. Er plädiert deshalb dafür, weniger strenge Regeln anzusetzen.

Vorentscheidung am Dienstag

Was am Ende in den Richtlinien stehen wird, ist noch ungewiss: Die letzten Änderungsanträge werden erst am Montag veröffentlicht, einen Tag bevor im Parlament über das Telekom-Paket abgestimmt wird. Parallelen zur Abstimmung über die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung 2005 drängen sich auf: Damals stimmten konservative und sozialdemokratische Abgeordnete mehreren kurzfristig eingebrachten Änderungsanträgen zu. Dadurch brachten sie einen vom Abgeordneten Alvaro ausgehandelten Kompromissvorschlag zu Fall und verabschiedeten stattdessen weiter reichende Überwachungsregelungen. Datenschutz-Aktivist Beckedahl und seine Verbündeten wollen bis Dienstag Lobbyarbeit leisten, damit die Weichenstellung diesmal in ihrem Sinne ausfällt und die umstrittene Klausel gestrichen wird.

 

Stichwort

Das "Telekom-Paket" der EU umfasst vier Richtlinien (Rahmenrichtlinie, Richtlinie zur Einrichtung einer europäischen Regulierungsbehörde, Universaldiensterichtlinie, Datenschutzrichtlinie) sowie sowie eine Empfehlung an die Kommission für mehr digitale Entwicklung). Diese betreffen sowohl einfache im Alltag spürbare Dinge als auch komplexe Themen. Einige ausgewählte Punkte:

  • Telekommmunikationsanbieter werden verpflichtet, ihre Kunden besser über die Vertragsbedingungen zu informieren
  • Erleichterung für die Rufnummernmitnahme beim Wechsel der Telefongesellschaft
  • Verbesserungen bei der Notrufnummer 112: leichterer Zugang für Behinderte, automatische Übertragung des Standorts an die Notrufzentrale
  • Einrichtung einer EU-weiten Hotline für vermisste Kinder
  • Firmen müssen die Behörden bei Verlusten von Kundendaten informieren
  • Förderungen des Wettbewerbs bei Festnetz-Telefonen und Breitband-Internet
  • Befürwortung der Netzneutralität, d. h., Internetanbieter dürfen nicht die Übertragungsgeschwindigkeit zu bestimmten Angeboten im Internet in ihrem Interesse verbessern oder verschlechtern
  • Schaffung eines EU-Regulierungsrats, den nationale Regelungsbehörden wie die Bundesnetzagentur oder das Bundeskartellamt in Telekommunikationsfragen konsultieren sollen
  • Regelungen für die Vergabe von Funkfrequenzen, die etwa durch die Umstellung auf die digitale Fernsehübertragung frei werden. Auch der Handel mit ihnen soll ermöglicht werden.

Die von der EU-Kommission im Ende 2007 eingebrachten Vorschlägen werden nun vom Parlament in erster Lesung beraten. Dann wird der Rat der EU-Mitgliedsstaaten Stellung nehmen. Endgültig beschlossen werden sollen das Telekom-Paket spätestens im Frühjahr 2009, vor der Neuwahl des Parlaments im Juni.