Bilanz zur Anhörung der EU-Kommissare Zu viele faule Kompromisse?

Stand: 10.10.2014 18:45 Uhr

Anderthalb Wochen lang wurden die designierten EU-Kommissare im Europaparlament "gegrillt" - durchgefallen ist am Ende nur eine. Die Bilanz der Parlamentarier ist gemischt - die einen feiern, die anderen sprechen von Kuhhandel.

Eine Sternstunde der europäischen Demokratie sollte es werden: Die Parlamentarier prüfen hart und vorurteilsfrei die Anwärter für das zentrale Gremium der europäischen Politik. Nur wer sich fachlich auf der Höhe und europäisch engagiert erweist, sollte den Persilschein bekommen. Soweit die Theorie.

"Die Praxis gestaltet sich dann etwas komplizierter", analysiert Sven Giegold von den Grünen: "Die Prüfung der Kommissare war auf jeden Fall ein harter Test. Aber die Entscheidung blieb aus, denn auch diejenigen, die nicht überzeugt haben, sofern sie das Parteibuch der Christdemokraten und der Sozialdemokraten haben, wurden durchgewunken."

Martin Bohne, M. Bohne, MDR Brüssel, 10.10.2014 19:52 Uhr

"Fünf Jahre Kopfschütteln"

Bei den durchgewunkenen Wackelkandidaten denkt Giegold vor allem an den Briten Jonathan Hill, der als ehemaliger Finanzmarktlobbyist nun die Finanzmärkte an die Kandare nehmen soll, sowie an den Spanier Arias Canete, der als ehemaliger Ölmanager nun das Klima schützen soll. Und an den Franzosen Pierre Moscovici, der als französischer Finanzminister regelmäßig die Defizitobergrenzen überschritt und nun in der EU die Haushaltsdisziplin durchsetzen soll. "Das wird fünf Jahre Kopfschütteln bei den Bürgern erzeugen", ist sich der grüne Finanzexperte sicher.

"Wie auf einem Basar"

Am anderen Ende des politischen Spektrums, bei AfD-Chef Bernd Lucke, fällt die Kritik noch härter aus. "Ich war sehr erstaunt, dass das Parlament da so unkritisch Kommissare bestätigt hat, an deren Qualifikation man die größten Zweifel haben kann", sagt er. Es sei wie auf einem Basar zugegangen. Auch Lucke bezieht sich auf Moscovici, aber auch auf den Finnen Jyrki Katainen, der als Vizepräsident für mehr Wirtschaftswachstum sorgen soll. "Weil Herr Katainen der Kandidat der Christdemokraten ist und Herr Moscovici der Kandidat der Sozialdemokraten, hat man sich abgesprochen und gesagt, akzeptierst du meinen, akzeptiere ich deinen. Und dadurch haben wir jetzt zwei schlechte Kommissare".

Das sieht natürlich Udo Bullmann, der Chef der SPD-Europaparlamentarier, ganz anders. Zumindest was Pierre Moscovici betrifft: "Ich habe Herrn Moscovici als jemanden erlebt, der sehr stark ist, sehr pro-europäisch."

Fakt ist, am Ende kamen alle durch - bis auf die slowenische Liberale Bratusek, die in ihrer Anhörung allzu viele fachliche Mängel erkennen ließ. Aber dass sie abgelehnt wurde, lag wohl auch an der fehlenden Lobby, meint die französische Liberale Sylvie Goulard. "Wer aus einem kleinen Mitgliedsstaat kommt und aus einer kleinen Partei, der hat mehr Schwierigkeiten als ein Kandidat aus einem großem Mitgliedsland, der von einer großen Fraktion unterstützt wird."

Kritik an Großer Koalition im Europaparlament

Liberale, Grüne, Linke und Rechtskonservative - sie alle beklagen die Große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten, die die Führer der beiden größten Fraktionen - oft gegen den Widerstand der Fachpolitiker - in den Wirrungen der Anhörungen geschmiedet haben. Für Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion, führt angesichts des Vormarschs der Populisten von rechts und links auch im Parlament schon rein rechnerisch kein Weg an dieser Großen Koalition vorbei: "Wer einen Blick auf die Zusammenstellung des heutigen Europäischen Parlaments wirft, der sieht, dass es ohne die Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokraten und der Europäischen Volkspartei keine verantwortbare Mehrheit gibt. Wir haben Verantwortung, deswegen machen wir diesen Weg."

Und der CSU-Politiker begründet so auch die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Jean-Claude Juncker: "Wir haben einen Kommissionspräsidenten, der jetzt parlamentarisch getragen wird, ähnlich wie wir das von den Regierungssystemen zu Hause kennen. Politisch bedeutet das, dass Jean-Claude Juncker und seine Kommission unabhängiger werden von nationalen Überlegungen. Wir werden Richtung einer europäischen Regierung gehen."

"Eine Kommission mit echten Schwergewichten"

Und die Eindrücke, die er in den Anhörungen von den neuen Kommissaren gewonnen hat, bestärken Weber in dieser Hoffnung: "Die neue Kommission ist eine deutlich politischere Kommission, mit echten Schwergewichten. Deshalb erwarte ich mir auch mehr Selbstbewusstsein von der Kommission beim Durchsetzen von europäischen Interessen."

Das zumindest sieht der Grüne Giegold - mit einigen Abstrichen - auch so: "Aus europolitischer Sicht ist die neue Kommission natürlich ein Fortschritt, sie ist eine stärkere Kommission als die von Barroso."

Nur muss sie nun erstmal ins Amt kommen. Die slowenische Nachfolgekandidatin für die abgelehnte Alenka Bratusek, Violeta Bulc, muss nun erstmal das Parlamentshearing überstehen. Der 1. November als Tag der Amtsübernahme ist akut gefährdet.