EU-Sondergipfel in Brüssel
FAQ

Corona-Hilfen und Haushalt Was der EU-Gipfel beschlossen hat

Stand: 21.07.2020 10:05 Uhr

Die EU nimmt im Kampf gegen die Corona-Krise erstmals eigene Schulden auf: Wer bekommt die 750 Milliarden Euro? Wie wird das Geld zurückgezahlt? Wer hat in Brüssel was herausverhandelt? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was wurde auf dem EU-Gipfel beschlossen?

Der EU-Gipfel hat sich bei zwei großen Themen geeinigt: Corona-Hilfen für wirtschaftlich angeschlagene Staaten in einer Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro sowie den mehrjährigen Finanzrahmen des EU-Haushalts. Dabei geht es um die Mittel, die der EU von 2021 bis 2027 zur Verfügung stehen. Insgesamt ist dafür eine Summe von 1074 Milliarden Euro eingeplant.

Wie sehen die Corona-Hilfen konkret aus?

Der Sonderfonds von 750 Milliarden Euro teilt sich in zwei Teile auf. Erstens: 390 Milliarden Euro als Zuschüsse für Staaten, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Zweitens: 360 Milliarden, die als Kredite vergeben werden. Ursprünglich hatte die EU angestrebt, 500 Milliarden als Zuschüsse und 250 als Kredite zu vergeben. Das scheiterte jedoch am Widerstand mehrerer Staaten, darunter Österreich und die Niederlanden.

Wie wird das Geld aus dem Corona-Sonderfonds verteilt?

70 Prozent der Gesamtsumme sollen 2021 und 2022 ausgegeben werden, 30 Prozent sind für 2023 reserviert. Die Verteilung richtet sich vor allem danach, wie stark die Wirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 einbricht. 2022 werden die Zahlungen für 2023 noch einmal überprüft. Die betroffenen Staaten sollen selbst Pläne für die Verwendung vorlegen, die die EU-Kommission dann innerhalb von zwei Monaten prüft. Die Kriterien richten sich nach den länderspezifischen Empfehlungen, die die EU-Kommission ohnehin aufstellt.

Eine Voraussetzung für die Freigabe der Mittel soll sein, dass Geld auch für Klimaschutz- und Digitalisierungs-Projekte eingesetzt wird. Die EU-Regierungen müssen die Kommissionsentscheidung dann mit qualifizierter Mehrheit absegnen. Dies soll garantieren, dass die Zuschüsse nicht einfach in den normalen Haushalt der EU-Staaten einfließen. Falls "eine oder mehrere" Regierungen Zweifel haben, können sie eine Debatte auf dem nächsten EU-Gipfel beantragen.

Woher kommt das Geld für die Corona-Hilfen?

Erstmals wird der EU-Kommission erlaubt, in großem Umfang Schulden aufzunehmen. Die Anleihen über 750 Milliarden Euro werden an den Finanzmärkten angeboten und können dort gekauft werden. An der Börse wird der Schritt mit Begeisterung verfolgt, berichtet Samir Ibrahim aus dem ARD-Börsenstudio. Die Bundesregierung hatte betont, dass die Einmaligkeit der Krise diese einmalige Aktion rechtfertige. Dies solle kein Einstieg in eine "Schuldenunion" sein.

Wie wird das Geld zurückgezahlt?

Die Rückzahlung soll vor 2027 beginnen und bis 2058 laufen. Damit die Rückzahlung der großen Summe aus dem EU-Haushalt nicht die normale Arbeit der EU lahmlegt, erhält die EU eigene Einnahmequellen. Dazu soll Anfang 2021 eine Plastiksteuer auf nicht recyclebares Plastik eingeführt werden. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, dass EU-Regierungen für jede Tonne unrecyclebaren Verpackungsmüll aus Kunststoff 800 Euro nach Brüssel überweisen sollen.

Zudem wird die EU-Kommission Pläne für eine Digitalsteuer und eine sogenannte CO2-Grenzsteuer ausarbeiten. Diese sollen "spätestens 2023" eingeführt werden. Mit der Grenzsteuer werden Importe aus Staaten belastet, die keine strengen Klimaschutzvorgaben wie die EU haben. Dies soll gleiche Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen garantieren, zumal die EU zugleich eine Steigerung der CO2-Verschmutzungspreise plant. Zudem soll der Flug- und Schiffsverkehr in den Emissionshandel einbezogen werden. Als eigene Einnahmenquelle der EU wird eine Finanztransaktionssteuer eingeführt.

Welche Entscheidungen wurden zum EU-Haushalt gefällt?

Beim EU-Gipfel ging es aber nicht nur um Corona-Finanzhilfen, sondern auch um den mehrjährigen Finanzrahmen des EU-Haushalts für die Jahre 2021 bis 2027. Um die Gesamtsumme von 1074 Milliarden Euro nach dem Ausscheiden von Großbritannien zu erreichen, musste eine neue Lastenverteilung her: Deshalb steigen die Zahlungen vor allem der Nettozahler wie Deutschland in den kommenden Jahren stark an.

Was wird aus dem Rabattsystem?

Einen Nachlass auf ihre Haushaltsbeiträge bekommen fünf Staaten. Neben Deutschland sind das Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden. Die letztgenannten waren als "sparsame Vier" auf dem Gipfel aufgetreten und haben im Gegenzug für ihre Zustimmung zu Corona-Zuschüssen erhöhte Rabatte bekommen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was einer Steigerung um 138 Prozent entspricht. Die Niederlande sollen nun einen Rabatt von 1,92 Milliarden Euro jährlich erhalten. Dies sind 345 Millionen Euro mehr als noch vor dem Gipfel geplant. Schweden soll pro Jahr 1,07 Milliarden Euro Rabatt bekommen, das sind 271 Millionen mehr als bisher vorgesehen.

Auch Deutschland profitiert von dem Rabattsystem. Die Summe bleibt jedoch unverändert bei 3,67 Milliarden Euro pro Jahr. Im Zuge der Verhandlungen auf dem EU-Gipfel sicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland auf anderem Weg zusätzliche Gelder aus Brüssel: Wie aus dem Abschlussdokument des Treffens hervorgeht, soll Deutschland aus dem nächsten Sieben-Jahres-Finanzrahmen zusätzlich 650 Millionen Euro für ostdeutsche Regionen erhalten, um "Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern". Weitere 650 Millionen Euro sind für die ländliche Entwicklung vorgesehen.

Wie sieht es mit dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip aus?

Einer der zentralen Streitpunkte der äußerst schwierigen Verhandlungen hatte sich um das Problem der Rechtsstaatlichkeit gedreht. Viele Mitgliedsstaaten hatten gefordert, dass die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt sein muss. Einige osteuropäische Länder, darunter Ungarn und Polen, hatten eine solche Koppelung vehement abgelehnt.

Kritiker werfen Ungarn und Polen die Verletzung von Grundfreiheiten sowie den korrupten Umgang mit EU-Hilfsgeldern vor. Gegen beide Länder läuft deshalb ein Grundrechteverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Die Frage der Koppelung von EU-Zahlungen an die Rechtsstaatlichkeit konnte auf dem Gipfel letztlich mit einer Kompromissformel gelöst werden. Künftig soll die Kommission bei Verstößen Maßnahmen vorschlagen, die die EU-Staaten dann mit einer sogenannten qualifizierten Mehrheit (dafür sind 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung nötig) beschließen müssten.

Während EU-Vertreter den Kompromiss als wirksam lobten, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP polnische Regierungsquellen mit der Einschätzung, die Koppelung von EU-Geldern an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien sei gestrichen worden. Ungarische Medien feierten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orban.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 21. Juli 2020 um 08:38 Uhr.