Eichmann-Prozess in Jerusalem

Entführung vor 60 Jahren Als Israel Eichmanns Flucht beendete

Stand: 11.05.2020 16:06 Uhr

Er war einer der Organisatoren des Holocaust: Vor 60 Jahren fassten Agenten den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Eichmann in Argentinien - und entführten ihn nach Israel. Sein Prozess wurde zum Meilenstein der Aufarbeitung.

Am 11. Mai 1960, um kurz nach 20 Uhr, hatte Rafi Eitan sein Ziel erreicht: In seinem Auto befand sich der Mann, der den Holocaust mitorganisiert hatte - die Ermordung von sechs Millionen Juden.

Eitan war Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad, der Anführer einer extrem heiklen Mission. Und nun saß er mit Adolf Eichmann in einem Auto, mehr als 12.000 Kilometer von Israel entfernt, in einem Vorort von Buenos Aires in Argentinien.

"Ich stülpte ihm eine Decke über den Kopf und hielt ihn mit beiden Händen fest", beschrieb Eitan Jahre später die Aktion im israelischen Fernsehen. "Und obwohl Eichmann schwach war, spürte ich mein Zittern. Meinen Herzschlag. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz vor lauter Aufregung explodieren würde. So etwas hatte ich noch nie empfunden. Dieses Gefühl: Dieser Mann befindet sich in meiner Gewalt."

Adolf Eichmann in seiner Gefängniszelle in Ramle.

Adolf Eichmann in seiner Zelle im Ramle-Gefängnis.

Leben in vermeintlicher Sicherheit

Adolf Eichmann: ehemaliger Obersturmbannführer der SS. Im Reichssicherheitshauptamt plante er die Deportation und Ermordung der Juden. 15 Jahre lang hatte ihn dafür niemand zur Rechenschaft gezogen. Eichmann nannte sich in Argentinien Ricardo Klement und führte dort ein kleinbürgerliches Leben. Der NS-Mann arbeitete bei Mercedes-Benz - und er verkehrte mit alten Kameraden, anderen Nationalsozialisten, die sich ebenfalls nach Argentinien abgesetzt hatten.

15 Jahre lebte er in vermeintlicher Sicherheit. Dann kamen die israelischen Agenten. "Im Auto sagten wir ihm auf Deutsch, dass er keinen Mucks machen dürfe, sonst wäre sein Leben in Gefahr", erzählte Eitan. "Später sagte er dann, dass er sich sein Leben lang davor gefürchtet habe. Dass er erwartet habe, dass Israelis ihn gefangen nehmen."

Deutsche Untätigkeit

Vertreter der damals jungen Bundesrepublik wussten wohl bereits Jahre vor der Entführung, wo sich Eichmann befand. Doch sie blieben untätig. In der Bundesrepublik hatten es NS-Täter in wichtige Positionen des Staates geschafft. Die Regierung in Bonn fürchtete, dass Eichmann über sie auspacken könnte, falls er verhaftet werde. Und so wandte sich der deutsche, jüdische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer nicht an deutsche Ermittler, sondern an Israel, als er Informationen über Eichmanns Aufenthaltsort erhielt.

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer

Der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968)

Israel zögerte zunächst, aber Bauer machte Druck - wegen Fluchtgefahr. Schließlich gelang die geheime Mission in Argentinien. Eichmann wurde nach Israel geschmuggelt.

"Eine unwahrscheinliche Sensation"

Zwölf Tage nach dem Zugriff in Buenos Aires wandte sich Israels Premierminister David Ben Gurion an das Parlament und verkündete, dass sich einer der größten Nazi-Verbrecher nun in Israel befinde. Der israelische Historiker Tom Segev war damals 15 Jahre alt. Er könne sich noch gut daran erinnern, sagt er. "Das war wirklich eine unwahrscheinliche Sensation, ein unwahrscheinlicher Schock. Der Mann ist jetzt hier - wirklich hier. Und Israel kann ihm den Prozess machen. Wir, die Opfer, haben also endlich nach so vielen Jahren die Möglichkeit bekommen, uns um unser eigenes Recht zu kümmern."

Eichmann-Prozess in Jerusalem

Eröffnung des Prozesses gegen Eichmann am 4. April 1961 in Jerusalem

Eichmann in Israel - das sei auch deshalb ein Schock gewesen, sagt Segev, weil in dieser Zeit im jüdischen Staat nur wenig über den Holocaust gesprochen wurde. "Das war die Zeit des großen Schweigens. Es war so, dass Eltern es ihren Kindern nicht erzählt haben, die Kinder haben nicht gewagt, zu fragen. Und auf einmal war er da."

Die Mossad-Agenten hätten Eichmann in Argentinien auch töten können. Israels Premier Ben Gurion aber wollte ein Zeichen setzen. Er habe einen Prozess gewollt, sagt Segev.

Am 15. Dezember 1961, anderthalb Jahre nach der Entführung, wurde Adolf Eichmann von einem Gericht in Jerusalem zum Tode verurteilt. 

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 11. Mai 2020 um 08:21 Uhr.