Tusk ist neuer EU-Ratspräsident "Das Europa von heute ist ein Wunder"

Stand: 01.12.2014 14:16 Uhr

Polens Ex-Premier Tusk hat seinen Posten als EU-Ratschef angetreten. Der 57-Jährige gerät ins Schwärmen, wenn er von Europa redet. Künftig muss er zwischen den 28 EU-Staaten vermitteln - und auch gegenüber Moskau den richtigen Ton treffen.

Nett, höflich und natürlich galant: Damen begrüßt er gern mit dem in Polen obligatorischen Handkuss. Und sonst? Da sei nicht mehr sehr viel, sagen seine Gegner. Donald Tusk, meinen sie, wäre ein Blender und hätte sich in den letzten Jahren seines Wirkens als Premier in Warschau vor allem durch Nichtstun hervorgetan.

Klingt schlimm, habe mit der Realität indes kaum etwas zu tun, kontern seine Freunde. Donald Tusk sei in Wirklichkeit ein Macher, einer der ganz genau wisse, worauf es ankäme, ein exzellenter Rhetoriker und hervorragender politischer Stratege. Hört sich übertrieben an, ist es auch.

Hang zum windelweichen Kompromiss

Donald Tusk hat viele Eigenschaften. Nicht alle sind unbedingt positiv zu bewerten. Vor allem sein notorisches Bestreben, windelweiche Kompromisse zu machen, statt mutige Entscheidungen zu treffen, hat Tusk viel Kritik in Polen eingebracht - und damit seine Partei in der Wählergunst auf beschleunigte Talfahrt gesetzt.

Das sei ein äußerst gefährlicher Trend für die regierende Bürgerplattform, meint der Warschauer Politologe Piotr Wawrzyk: "Der Premier wurde langsam zu einer Belastung. Er war nicht mehr die Wahllokomotive, im Gegenteil. Auch das hat ihn dazu bewogen, auf die Funktion des Regierungschefs in Polen zu verzichten - und zwar ohne dabei das eigene Image zu beschädigen."

Wenige Abschiedstränen

Als Tusk Warschau Adieu sagte, um nach Brüssel zu entschwinden, war selbst in seinen eigenen Parteireihen nicht jeder darüber traurig. In der EU-Zentrale sei er wesentlich besser aufgehoben, sagen Freunde wie Gegner. Stimmt - denn eines zeichnet Tusk ganz besonders aus: Der 57-Jährige ist ein durch und durch überzeugter Europäer.

Er hat die feste Überzeugung, dass die EU eine wunderbare Gemeinschaft ist, die es zu pflegen gelte. Koste es, was es wolle: "Ich erlaube mir, Churchills Bemerkung über die Demokratie auf Europa zu übertragen. Natürlich ist dieses Europa nicht perfekt. Aber es hat bis jetzt nie etwas Besseres gegeben. Wir müssen auf unsere Träume an eine bessere Zukunft nicht verzichten, aber sie werden nie in Erfüllung gehen, wenn wir aufgeben, uns um Europa zu bemühen. Europa von heute ist eine Erscheinung, die an ein Wunder grenzt."

Dieser Ansicht war Donald Tusk lange bevor Polen EU-Mitglied wurde. Vom Aufstand der Danziger Werftarbeiter tief beeindruckt, träumte er bereits als 23-Jähriger von einem wirtschaftlich und politisch unabhängigen Polen. Deshalb machte er bei der Solidarnosc-Bewegung von Anfang an mit. Daher kam auch sein Elan, eine liberale Partei zu gründen.

"Unantastbare Werte europäischen Erbes"

"Europa ist ein Raum, in dem kriegerische Auseinandersetzungen durch die Kultur des Friedens und Anerkennung der Vielfalt und der gegenseitigen Verantwortung ersetzt wurden. Freiheit und Frieden, Solidarität und Unternehmenskraft, Pluralismus sowie Autonomie der Religionen, Chancengleichheit und Wohlstand - all das sind unantastbare Werte unseres europäischen Erbes", so Tusk.

Dies sind Sätze, die gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise eine ganz besondere Bedeutung gewinnen. Donald Tusk als EU-Ratspräsident dürfte dem Herrscher im Kreml auch weiterhin die Stirn bieten - ohne dabei allerdings die Möglichkeit von Verhandlungen mit Wladimir Putin ganz aus dem Blickfeld zu verlieren.

Henryk Jarczyk, H. Jarczyk, ARD Warschau, 01.12.2014 02:06 Uhr