Grenzkontrollen wieder eingeführt Dänemark versteht die Aufregung nicht

Stand: 05.07.2011 00:01 Uhr

Grenzkontrollen im Schengen-Raum - das ist von heute an Wirklichkeit. An den Übergängen nach Schweden und Deutschland traten erste Beamte in Aktion. Integrationsminister Pind betonte, es gehe nicht um Personenkontrollen. Er versteht die Aufregung nicht. In der EU sieht man das anders.

Von Leon Stebe, RBB-Hörfunkstudio Brüssel

Der dänische Integrationsminister Sören Pind lässt einfach jede Kritik an sich abprallen. Zur Not bemüht er sogar Shakespeare, um die Wiedereinführung der Kontrollen an den dänischen Grenzen zu verteidigen: "Das ist viel Lärm um nichts", sagt Pind und meint damit die Aufregung darüber, dass Dänemark von heute an wieder Zollkontrollen an den Grenzen unternimmt. Die Regierung hat sogar vor, neue Grenzhäuschen zu bauen und elektronische Überwachungsanlagen zu installieren: "Es ist wahr, dass wir die Zollkontrollen verstärken wollen. Daraus wurde dann gemacht, dass wir Pass- und Personenkontrollen machen wollen. Aber das ist nicht der Fall."

Zollkontrollen statt Personenkontrollen - auf diesen kleinen Unterschied legt Pind Wert und ist sich deshalb sicher: "Was wir tun, steht in vollem Einklang mit dem Abkommen von Schengen." Die europäischen Nachbarn sehen das anders. Viele Europaabgeordnete in Brüssel sind entsetzt. Sie sehen die Reisefreiheit ohne Passkontrollen in Gefahr.

EU-Kommission warnt Regierung in Kopenhagen

Auch die EU-Kommission warnt die Regierung in Kopenhagen vor einseitigen Schritten. Der Geist von Schengen dürfe nicht angetastet werden, so Kommissionspräsident Barroso: "Schengen ist einer der größten Erfolge der Europäischen Union was die Freiheit und die Sicherheit anbelangt." Die Kommission droht den Dänen mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, sollte sich herausstellen, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen.

Die dänische Regierung lässt das ziemlich kalt. Wahrscheinlich auch, weil sie weiß, dass die Kommission selbst gerade an einer Reform des Schengen-Abkommens arbeitet. Auf dem vergangenen EU-Gipfel haben die Staats- und Regierungschefs den Auftrag dafür erteilt. Grenzkontrollen sollen in bestimmten Situationen wieder möglich sein. Zum Beispiel, wenn ein Mitgliedsland die EU-Außengrenze nicht mehr ausreichend schützen kann, weil Flüchtlinge massenhaft in den Schengenraum strömen.

Ist Dänemark nur der Anfang?

Der Kommissionspräsident hält diese Reform für notwendig, sagt aber auch: "Die befristete Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Ausnahmefällen könne nur das letzte Mittel sein." Kritiker halten dagegen und wenden ein: Damit werde Schengen ohne Grund aufgeweicht.

Das Schengen-Abkommen

Das Abkommen von Schengen in Luxemburg beseitigte 1985 zunächst die Schlagbäume zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern. Heute gehören 26 Staaten zum "Schengen-Land", in dem keine Binnengrenzen kontrolliert werden sollen. Neben 22 der 28 EU-Ländern (alle außer Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien, Rumänien und Kroatien) sind das Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz.

Die Landgrenzen dieses Schengen-Raums mit mehr als 400 Millionen Einwohnern sind mehr als 7700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42.700 Kilometer. An den Grenzen zwischen den Schengen-Staaten werden Reisende nur noch in Stichproben oder bei besonderen Ereignissen kontrolliert.

Nach Artikel 23 des Schengener Grenzkodex kann ein Mitgliedsland "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" für einen begrenzten Zeitraum an seinen Grenzen ausnahmsweise wieder Personen kontrollieren. Die Maßnahmen dürfen höchstens 30 Tage dauern oder so lange, wie die "schwerwiegende Bedrohung" andauert. Die Schengen-Staaten nutzten diese Klausel zum Beispiel, um vor großen Sportveranstaltungen oder Gipfeltreffen Reisende zu kontrollieren.

Artikel 26 lässt notfalls auch eine Verlängerung der Kontrollen auf bis zu zwei Jahre zu, wenn "anhaltende schwerwiegende Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen" das Funktionieren des Schengenraums insgesamt gefährden. Im Falle der Flüchtlingssituation in Griechenland muss die EU jetzt ausdrücklich feststellen, dass die Sicherung der EU-Außengrenzen auch nach den ersten 30 Tagen mit Grenzkontrollen nicht funktioniert. Sollten die EU-Länder der Meinung sein, dass die EU-Außengrenzen nicht gesichert sind, kann die EU dem Antrag Griechenlands zur Verlängerung von Grenzkontrollen stattgeben.

Im Europaparlament wächst daher die Zahl der Stimmen, die dafür werben, das grenzenlose Reisen kompromisslos zu verteidigen - weil es symbolhaft für die Einigung Europas steht. Viele Abgeordnete befürchten, dass die EU-Kommission die Geister, die sie rief, nicht mehr los wird. Dass mit einer Reform des Schengen-Abkommens die dänischen Zollbeamten nur den Anfang darstellen und andere Länder ebenfalls mit Kontrollen an ihren Grenzen nachziehen werden.