Interview

Chinas Botschafter zu manipulierter tagesschau.de-Umfrage "Von Beeinflussen kann keine Rede sein"

Stand: 15.04.2008 21:01 Uhr

Auf tausenden chinesischen Websites wurde kürzlich dazu aufgerufen, eine tagesschau.de-Umfrage zum Fackellauf zu manipulieren - mit Erfolg. Innerhalb von Stunden sprengten die Klickzahlen der Umfrage alles bisher Dagewesene. tagesschau.de fragte beim Botschafter der Volksrepublik China in Berlin, Ma Canrong, nach: Wer steckt hinter diesem Aufruf? Wie kommt er zustande? Die Antworten sind unmissverständlich.

tagesschau.de: Herr Ma, vor wenigen Tagen fragte tagesschau.de in einer Umfrage, ob der olympische Fackellauf abgebrochen werden sollte. Kurze Zeit später war auf mehr als 7600 chinesischen Webseiten die Meldung zu lesen, dass es diese Umfrage gibt. Die Chinesen wurden im Internet dazu aufgefordert, die Umfrage zu beeinflussen und gegen einen Abbruch des Fackellaufs zu stimmen. Wie kommt so etwas zustande?

Ma Canrong: Die westlichen Medien, darunter auch einige deutsche Medien, haben bei Berichterstattungen über Gewaltverbrechen der tibetischen Separatisten in Lhasa am 14. März viele Tatsachen entstellt. Über die gewaltsame Störung des Fackellaufes in London und in Paris haben sie auch gejubelt, statt sie zu verurteilen. Das alles hat bei der chinesischen Bevölkerung, einschließlich Auslandschinesen und chinesischen Studenten im Ausland, große Empörung hervorgerufen. Dass sie Ihre Umfrage als Gegelegenheit nehmen, um ihre Empörung zum Ausdruck zu bringen, ist spontan und auch verständlich. Auch wir in der Botschaft bekommen jeden Tag unheimlich viele Briefe und Anrufe von Auslandschinesen, chinesischen Studenten und auch von Deutschen, die ihre Proteste und Enttäuschungen gegen einseitige Berichterstattungen der hiesigen Medien ausdrücken.

Hintergrund dieses Interviews

Vor wenigen Tagen fragten wir unsere User nach ihrer Meinung: Sollte der olympische Fackellauf trotz der Proteste fortgesetzt werden? War anfangs noch eine klare Mehrheit der Umfrage-Teilnehmer für einen Abbruch, kippte das Ergebnis plötzlich in die andere Richtung. Das Erstaunlichste aber: Auch nachdem die Umfrage längst geschlossen war, wurde die dazugehörige Meldungsseite noch immer aufgerufen - und zwar massenhaft. Zeitweise war der Zugriff darauf vier Mal so hoch wie auf die tagesschau.de-Startseite. Der Verdacht lag nahe, dass hier manipuliert wurde. Hörfunkkorrespondentin Petra Aldenrath fand schließlich heraus: Auf mehr als 7600 chinesischen Websites wurde dazu aufgerufen, an unserer Umfrage teilzunehmen - inklusive genauer Anleitung und der eindeutigen Forderung: "Stimmen Sie auf keinen Fall mit JA!". tagesschau.de bat daraufhin um ein Interview mit dem chinesischen Botschafter Ma Canrong in Berlin. Die Antworten erhielten wir schriftlich auf Fragen, die wir vorher per E-Mail eingereicht hatten.

tagesschau.de: Können Sie sich vorstellen, wer für eine solche Kampagne verantwortlich ist?

Ma: Diese Frage müssen Sie an sich selbst stellen. Es ist gerade die unverantwortliche Berichterstattung von einigen Medien, die die Empörungswelle von Chinesen und anderen friedliebenden Leuten der Welt ausgelöst hat.

tagesschau.de: Könnte die chinesische Regierung dafür verantwortlich sein?

Ma: Das muss ich energisch verneinen. Sie wissen vielleicht noch nicht, dass es in China mehr als 100 Millionen Internetnutzer gibt. Sie können jederzeit auf dem Internet ihre eigenen Meinungen zu verschiedenen Fragen äußern. Glauben Sie wirklich, dass alles von der chinesischen Regierung organisiert werden könnte oder müsste?

tagesschau.de: Es liegt nahe, dass es sich um eine gelenkte Kampagne handelt. Welche Auswirkungen kann so etwas auf das Bild Chinas in Deutschland haben?

Ma: Manche glauben, dass die falsche Darstellung in Berichterstattungen über China nur das Image Chinas beschädigt. Das ist sehr naiv. Ich kann Ihnen sagen, das hat bereits Ihrem eigenen Image in China und unter der chinesischen Bevölkerung Schaden zugefügt, der sich auch in Zukunft auswirken kann. Die Menschen haben gesehen, wie die westlichen Medien durch die Tatsachen entstellende Berichterstattung ihre Glaubwürdigkeit verloren haben.

tagesschau.de: Die chinesische Regierung hat vermehrt Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien zu den Themen Tibet, Olympiaboykott und Fackellauf geübt. Warum versucht die chinesische Regierung die Berichterstattung westlicher Länder zu beeinflussen? Welche Vorstellung von Journalismus steht dahinter?

Ma: Von Beeinflussen kann überhaupt keine Rede sein. Wir haben nie vor, die westlichen Medien und die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Dazu sind wir auch nicht in der Lage. Aber wir sind der Meinung, dass die Medien sich an das allgemeingültige Prinzip halten sollen, nämlich die Tatsachen zu respektieren. Wir erwarten von westlichen Medien Objektivität, Sachlichkeit und Ausgewogenheit. Ich hoffe, dass deutsche Medien zu besserer Verständigung zwischen China und Deutschland beitragen können.

tagesschau.de: Anfang April wurde der chinesische Menschenrechtler Hu Jia  wegen seiner Kritik an den Olympischen Spielen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Begründung: Seine Artikel würden die chinesische Staatsgewalt untergraben. Was denken Sie: Welches Licht wirft ein solcher Vorfall auf die Verhältnisse in China?

Ma: China ist ein Rechtsstaat. Egal, wer das chinesische Gesetz verletzt, der wird gesetzmäßig bestraft. Das ist eine innere Angelegenheit der chinesischen Souveränität und hat mit Menschenrechten nichts zu tun. Wir wünschen, dass andere Länder chinesische Gesetze und die Souveränität respektieren.

Die Fragen wurden von Sabine Klein per E-Mail gestellt.