Großbritanniens Premier in Brüssel Cameron reichen Brüssels Vorschläge nicht

Stand: 29.01.2016 18:44 Uhr

Bevor die Briten über einen "Brexit" abstimmen, will Premier Cameron die EU zu weitreichenden Reformen bewegen. Dann sei er bereit, für einen EU-Verbleib seines Landes zu werben. Doch noch seien die Vorschläge aus Brüssel nicht ausreichend.

Einer beachtlichen Zahl von europäischen Staatenlenkern pflegt EU-Kommissionschef Jean Claude Juncker zwei Küsschen auf die Wangen zu drücken. Bei dem britischen Premier David Cameron tut er das nicht. Zur Begrüßung in Brüssel gab es dafür einen - zugegeben warmen - Händedruck.

Obwohl der Brite seinerzeit versucht hatte, den Luxemburger als Chef der Kommission zu verhindern, kommen die beiden recht gut miteinander aus. Einen "fairen Deal", ein "anständiges Abkommen" hatte Juncker den Briten für deren Sorgen mit der EU von Anfang an versprochen. Dieses Wochenende nun könnte ein entscheidendes werden, um ein solches Abkommen zu erzielen.

"Wir haben Fortschritte erzielt. Es ist ermutigend, dass die EU-Kommission Ideen unterbreitet. Aber es ist auch noch ein weiter Weg zurückzulegen", sagte Großbritanniens Premier der BBC kurz vor der Abreise nach Brüssel. Wäre er mit den Worten: "Wir haben uns so gut wie geeinigt" in die EU-Hauptstadt geflogen, wäre das auch eine Überraschung gewesen.

Cameron will seinen Willen durchsetzen

Aus so einer Position heraus sind Verhandlungen schwierig. Was aus EU-Kreisen allerdings verlautet, ist, dass Cameron bei der sogenannten "Zuwanderungs-Notbremse" seinen Willen bekommen könnte. Einem der bislang umstrittensten Punkte: "Das Problem ist klar: es geht um Menschen, die nach Großbritannien kommen und sofort Zugang zu unserem Sozialsystem bekommen", erklärt Cameron.

Gemeint sind wohlgemerkt Einwanderer aus anderen EU-Staaten, nicht die Flüchtlinge. Selbst wenn die Arbeit auf der Insel gefunden haben, sollen sie nicht in den Genuss derselben Leistungen - etwa in Form von Zuschüssen bei Niedriglohn-Jobs - kommen wie Einheimische. Und zwar vier Jahre lang. Da Arbeitnehmer grundsätzlich in der EU das Recht auf Gleichbehandlung genießen, ist dazu rechtlich durchaus Akrobatik erforderlich.

Die Not macht erfinderisch

Aber wie Eingeweihte berichten, hat die Kommission einen Weg gefunden, den Briten und anderen EU-Staaten in Notsituationen diese Ausnahmeregelung zu gestatten. Nun müssen aber auch bei einer Einigung zwischen Kommission und Cameron die EU-Mitgliedstaaten dies absegnen: "Die Staats- und Regierungschefs haben ihrer Sorge Ausdruck verliehen. Aber haben auch erklärt, dass sie bereit sind, Kompromisse zu suchen", erläuterte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach der letzten Debatte zum Thema im Dezember.

Auf dem nächsten EU-Gipfel Mitte Februar könnte dann alles besiegelt werden. Cameron will in diesem oder dem nächsten Jahr seine Landsleute darüber abstimmen lassen, ob sie in der EU bleiben oder den sogenannten Brexit wollen. Er selber hat versprochen, sich für ein ‚Ja zur EU‘ einzusetzen, wenn seine Forderungen gehört werden. Auf dem europäischen Festland gibt es die Befürchtung, dass bei einem Austritt der Briten Europa erheblich weniger Gewicht in die weltpolitische Waageschale werfen würde:

"Wir sind überzeugt, dass beide - die EU und die Briten - zusammen stärker sind als getrennt", so EU-Parlamentschef Martin Schulz nach seinem Treffen mit Cameron.

Völlig offen ist, ob der britische Premier eine Einigung mit der EU auf der Insel wirklich als Erfolg wird verkaufen können. Umfragen zufolge halten sich Befürworter und Gegner eines EU-Ausstiegs derzeit die Waage. Kritiker auf dem Festland werfen Cameron vor, in den letzten Jahren so viel über die EU gewettert zu haben, dass es ihm jetzt schwer fallen dürfte, den Briten Europa als die richtige Wahl anzupreisen.

Kai Küstner, K. Küstner, ARD Brüssel, 29.01.2016 17:54 Uhr