Barroso bei Goldman Sachs statt der EU Erst das Geschäft, dann die Moral

Stand: 12.09.2016 20:36 Uhr

Juristisch ist dem früheren EU-Kommissionschef Barroso nichts vorzuwerfen. Er hielt die vorgeschriebene Karenzzeit bis zum Wechsel zu Goldman Sachs ein. Die Konsequenzen der EU bleiben deshalb eher symbolisch. Und Barroso ist kein Einzelfall.

Erst Brüssel, dann Bank. Erst Politik, dann lukrative Posten in der Wirtschaft. Wie kommt man an diese Jobs? Für erfahrene EU-Politiker, zumal in der Kommission, ist dies wohl kein Problem.

Es gibt den klassischen Weg. Wer nach seinem Ausscheiden aus aktiven EU-Diensten an oberster Stelle finanziell noch weiter nach oben will, fängt wieder klein und scheinbar ganz bescheiden an. Zum Beispiel als unbezahlter Ehrenamtlicher beim Weltwirtschaftsforum oder ähnlichen Treffen, Organisationen und fest strukturierten Zusammenkünften der europäischen Wirtschaftskapitäne. Hier wird nicht nur über Wirtschaft und Politik gesprochen, sondern es geht auch um Jobs. Aus "Ehrenamtlichen" können dann gut bezahlte Manager mit politischen Kontakten und mit Einfluss werden - denn darum geht es vor allem.

Ausgerechnet Goldman Sachs

Barroso ergatterte einen Spitzenjob bei der Investmentbank Goldman Sachs. Sie hat traditionell beste Verbindungen in die Welt der Politik. Das Unternehmen gilt als äußerst professionell, erfahren und zukunftsorientiert, ist auch als Berater diverser Regierungen mit monetären Problemen gefragt. Goldman-Sachs ist zum Beispiel in Griechenland aktiv - nicht immer zur Freunde der Brüsseler Buchprüfer.

Händler von Goldman Sachs an der New Yorker Börse

Goldman Sachs hat weltweit beste Verbindungen

Das Barroso-Engagement gilt der EU-Kommission jedenfalls als Ärgernis, nicht zuletzt, weil er Lobbyarbeit macht und Geschäftsinteressen auch gegenüber der EU vertreten soll, die ihm zehn Jahre lang praktisch unterstand.

"Die aus dieser Aufgabe erwachsene Verantwortung kann und sollte nicht mit dem Ende der Amtszeit enden", kritisiert die Brüsseler Organisation Lobbycontrol, "ein Wechsel in einen Lobbyjob sollte sich schon aus dieser Verantwortlichkeit heraus von selbst verbieten."

Barroso wartete 20 Monate

Die EU-Kommission sieht das wohl ähnlich und zog erste Konsequenzen. "Präsident Barroso wird nicht mehr als ehemaliger Kommissionschef behandelt, sondern als normaler Interessenvertreter", erklärte ein EU-Sprecher in Brüssel, "das verlangen unsere strengen Regeln." Die Regeln sind aber nicht so streng wie die Kommission behauptet. Barroso wartete so lange, bis er der EU keine Rechenschaft mehr ablegen musste: 20 Monate. Er hätte sich eigentlich sogar nur 18 Monate gedulden müssen. Immer noch kurz genug, um attraktiv auf dem Lobbymarkt zu bleiben.

Zwar fordern EU-Abgeordnete seit langem eine dreijährige Auszeit, bisher aber ohne Erfolg. Bei einer längeren Karenzzeit wäre es schwieriger, politische Positionen im neuen Job auszunutzen. Doch diese hohe Hürde gibt es nicht.

Juncker schwingt die moralische Keule

Juristisch ist Barroso also nicht angreifbar. Deshalb setzt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf die moralische Keule. Und auf symbolische Rückstufungen: "Eine seiner bisherigen Privilegien als ehemaliger Kommissionschef war die Begleitung durch Protokollbeamte. Jetzt muss er am Eingang durch die Sicherheitsschleusen wie jeder andere normale Besucher auch", erklärte ein Kommissionssprecher. Vielleicht bleibt es dabei. Ob Barroso gezwungen werden kann, seinen Arbeitsvertrag offen zu legen, dürfte juristisch schwierig durchzusetzen sein.

Barroso ausgeladen

Was man Barroso in Brüssel übel nimmt: Ausgerechnet er hat die Karenzzeit für scheidende EU-Kommissare von 12 auf 18 Monate verlängert, damit Politiker keinen schnellen Profit aus dem Brüsseler Dienst ziehen. Und er hat sich für ein dreijähriges Übergangsgehalt stark gemacht - damit Ex-EU-Kommissare gut gepolstert ihre Unabhängigkeit bewahren können, ohne in Interessenkonflikte zu geraten.

Das eigentliche Problem sieht die EU aber in Barrosos Aufgaben: Sein neuer Arbeitgeber ist vor allem in London aktiv. Es wird vermutet, dass er die  Brexit-Folgen für Goldman Sachs abfedern soll - ohne Rücksicht auf EU-Interessen, aber mit alten Kontakten.

Juncker will zumindest die wichtigsten davon kappen. Bei "Ehemaligentreffen" gilt Barroso jetzt offenbar als unerwünscht: "Das sind Treffen, bei denen Juncker und seine Vorgänger über wichtige politische Fragen sprechen,  nicht über irgendwelche Geschäftsszenarien", erklärte ein EU-Sprecher trocken.

Kein Einzelfall

Helfen dürfte das wenig. Zumal sich Barroso in  guter Gesellschaft befindet. Viviane Reding, Ex-Vizepräsidentin der EU-Kommission und frühere Justizkommissarin, wechselte in das Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung, das mit dem gleichnamigen globalen Unternehmen verbunden ist. Gleichzeitig sitzt sie noch als EU-Abgeordnete im Handelsausschuss des Europäischen Parlaments.

Ihr Kollege Algirdas Semeta, ehemals Anti-Korruptionskommissar aus Litauen, ist im Umfeld der ukrainischen Wirtschaft aktiv. Beide versichern stets, dass sie ihr politisches Insider-Wissen nicht ausnutzen. Trotzdem vertreten sie Geschäftsinteressen. Brüssel hat die neuen Jobs problemlos genehmigt. Im EU-Parlament mehren sich allerdings Zweifel, ob die neuen Jobs wirklich genau genug geprüft werden.

"Wir hören uns die Sorgen der Bürger an"

Nicht nur im Fall Barroso geht es also um Glaubwürdigkeit. Er ist jedenfalls der erste Ex-Präsident, dem Privilegien entzogen wurden. Offiziell will man ihm nicht mehr Gehör schenken als jedem anderen Bürger auch: "Wir hören uns die Sorgen der Bürger an und tragen ihnen Rechnung", schrieb eine  Kommissionssprecherin auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Andreas Meyer-Feist, A. Meyer-Feist, HR Brüssel, 12.09.2016 20:02 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. September 2016 um 18:34 Uhr.