Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew gestikuliert während einer Rede.
Interview

Aserbaidschans Präsident "Ein Kampf zwischen uns und Armenien"

Stand: 07.11.2020 13:57 Uhr

Die Schuld am Krieg um Bergkarabach weist Aserbaidschans Präsident Alijew allein Armenien zu. Einen Streubomben-Einsatz streitet er im ARD-Interview ebenso ab wie politische Inhaftierungen Oppositioneller im eigenen Land.

ARD: Ihre Truppen haben offenbar Gebiete südlich von Bergkarabach erobert, aber auch im Norden. Wie lange wird der Krieg dauern?

Aliyev: Das hängt von Armenien ab. Ich habe es immer wieder gesagt: Wir würden heute aufhören. Und die Tatsache, dass wir drei Mal Waffenruhen zugestimmt haben, zeigt unseren Willen, die militärische Konfrontation einzustellen und dieses Thema am Verhandlungstisch politisch zu lösen. Aber Armenien hat die Waffenruhe drei Mal brutal gebrochen.

ARD: Genau dasselbe behaupten die Armenier auch. Und sie sagen, sie würden Streumunition einsetzen. Es gab sogar Beweise von Amnesty International und Human Rights Watch, dass ihr Militär Streumunition dort in Bergkarabach einsetzen. Warum benutzen Sie solche Waffen?

Aliyev: Wir benutzen solche Waffen nicht. Wir verteidigen uns. Wir haben Amnesty und Human Rights Watch eingeladen, nach Aserbaidschan zu kommen. Leider bearbeiten sie diesen Konflikt nur von der armenischen Seite aus. Sie haben uns nicht gefragt, ob sie hierherkommen können. Deshalb haben wir Zweifel hinsichtlich deren Unparteilichkeit.

NGOs berichten über Streubomben-Einsatz

ARD: Die Menschenrechtsaktivisten haben mir erzählt, sie wollten kommen. Sie hätten mehrfach gefragt, aber man habe das abgelehnt.

Aliyev: Nein, nein. Das stimmt so nicht, denn das haben wir gestern getan. Wir haben gefragt, warum sie nicht kommen.

ARD: Ich konnte mir Recherchen von Human Rights Watch angesehen, und die Beweise waren hochinteressant. Die Aktivisten haben Fotos und sogar den Namen der eingesetzten Waffe. Die sagen, es war eine LAR-160-Streubombe aus Israel. Wollen Sie das wirklich abstreiten?

Aliyev: Natürlich. Es gibt keine Beweise. Und ich möchte, dass sie hierherkommen und nach Ganja oder Terter fahren, um zu sehen, welche Waffen die Armenier benutzen.

ARD: Sie haben die UN-Konvention über Streumunition nie unterschrieben. Warum ist es überhaupt ein Problem für Sie? Sie könnten die Streumunition ja sogar einsetzen.

Aliyev: Hat Armenien das unterschrieben?

ARD: Wir sprechen jetzt über Aserbaidschan und nicht über Armenien.

Aliyev: Wir sprechen über den Konflikt. Und ob wir die Konvention unterschrieben haben oder nicht, bedeutet nicht, dass wir solche Waffen auch benutzen. Wir haben genug Munition, moderne Waffen, und das zeigen wir auf dem Schlachtfeld.

"Jetzt hat sich die Lage grundlegend geändert"

ARD: Wo wir gerade zu diesem Thema kommen: Ist es nicht Ihr Ziel, die sieben Gebiete unterhalb von Bergkarabach einzunehmen und dann über eine autonome Zone Bergkarabach zu verhandeln?

Aliyev: Wir haben uns zu Grundprinzipien verpflichtet. Die sieben Gebiete müssen an uns zurückgegeben werden. Und die 40.000 Aserbaidschaner, die aus Bergkarabach vertrieben wurden, müssen dorthin zurückkehren können. So sollte der Plan umgesetzt werden.

ARD: Was ist mit einer autonomen Region Bergkarabach ohne aserbaidschanischen Einfluss?

Aliyev: Das war Teil der bisherigen Verhandlungen, aber es gab kein Übereinkommen.

ARD: Aber Sie würden zustimmen?

Aliyev: Wir müssen das jetzt diskutieren, denn es gibt dort eine neue Lage.

ARD: Welchen Einfluss wollen Sie in einer autonomen Zone haben? Das wäre ein Widerspruch an sich.

Aliyev: Erst einmal haben wir uns bisher auf keine autonome Zone verständigt. Es gibt kein Übereinkommen. Als wir das vorgeschlagen haben, haben es die Armenier abgelehnt. Sie wollten unabhängig entscheiden, worauf wir uns nicht eingelassen haben. Jetzt hat sich die Lage grundlegend geändert. Wir mussten uns so oft anhören, es gäbe eine Sachlage und diese müssten wir berücksichtigen. Das ist okay so. Jetzt haben wir die Sachlage geändert. Die müssen jetzt Rücksicht nehmen, und was wir 27 Jahre lang vorgeschlagen haben, hat jetzt keine Bedeutung mehr.

Beschuss einer Kirche in Bergkarabach

ARD: Trotz allem empfinden die Menschen dort Ihr militärisches Vorgehen als ethnische Säuberung.

Aliyev: Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Wir waren das Objekt ethnischer Säuberung, als die Armenier Bergkarabach und sieben Gebiete außenherum besetzten. Dabei fand eine ethnische Säuberung von 750.000 Aserbaidschanern statt, die aus sieben Gebieten und aus der Stadt Schuscha, die Teil von Bergkarabach ist, vertrieben wurden.

ARD: Aber Zivilisten wurden in den vergangenen Wochen dort getötet.

Aliyev: Zivilisten wurden auch in Aserbaidschan getötet.

ARD: Auf der anderen Seite aber auch.

Aliyev: Ja, weil es ein Krieg ist. 69 Zivilisten wurden getötet weit entfernt vom Kampfgebiet. In der Stadt Ganja wurden mehr als 300 Menschen von Armeniern verletzt. Das ist ein Krieg. Solche Dinge passieren leider.

ARD: Wie kann es sein, dass in Bergkarabach eine Kirche getroffen wurde?

Aliyev: Das war entweder - wie ich es schon mal gesagt habe - möglicherweise ein Fehler unserer Artillerie oder die zweite Möglichkeit könnte sein, dass die Armenier das selbst getan haben.

ARD: Schießen Christen auf ihre eigene Kirche?

Aliyev: Das war doch nur ein kleiner Schaden. Sie wurde nicht zerstört. Haben Sie die Bilder gesehen? Ein kleiner Schaden. Die Kirche wurde nicht zerstört. Das kann man in maximal zwei Wochen reparieren. Deshalb vermuten wir, dass sie es selbst getan haben könnten, um uns zu beschuldigen.

"Unser politisches System funktioniert"

ARD: Einige Menschenrechtsexperten und Menschenrechtsverteidiger sagen, Sie hätten offenbar den Krieg begonnen, um das Volk hinter sich zu bringen und von den Problemen in Sachen Demokratie und Menschenrechte im Land abzulenken.

Aliyev: Es gibt keinen Grund, abzulenken. Unser politisches System funktioniert.

ARD: Sind nicht viele Oppositionelle in Aserbaidschan im Gefängnis?

Aliyev: Nein, nein, nein. Die, die im Gefängnis sind, die sind dort wegen der Verbrechen, die sie begangen haben. Niemand aber wegen politischer Gründe oder weil sie zur Opposition gehören.

ARD: Welche Art von Verbrechen meinen Sie? Dass man seine Meinung sagt?

Aliyev: Nein, andere Verbrechen, ich weiß nicht genau welche, aber gewöhnliche Verbrechen. Diesen anderen Grund gibt es nicht. Zweitens, unsere Wirtschaftsleistung während der Pandemie ist eine der Besten.

ARD: Würden Sie Aserbaidschan als beispielhaft für Demokratie bezeichnen?

Aliyev: Nein, das sind wir nicht und wir tun auch nicht so, als ob wir das wären. Aber es gibt Länder, die behaupten das, töten jedoch Demonstranten.

Drei Mal wurden Waffenruhen gebrochen

ARD: Würde sich ein drittes Land in den Krieg militärisch einmischen, erwarten Sie dann Hilfe von der Türkei?

Aliyev: Wir erwarten nicht, dass sich ein drittes Land einmischt. Wir wüssten auch nicht, welches Land sich einmischen könnte, denn die Länder um uns herum sind unsere Partner und Freunde. Wir wissen, dass die Armenier einige davon gerne in die Kämpfe reinziehen wollen, aber ich bin sicher, dass das nicht passieren wird. Es ist ein Kampf zwischen uns und Armenien, und alle anderen sollten sich heraushalten.

ARD: Fühlen Sie sich sicherer, weil türkische F-16-Kampfjets hier sind?

Aliyev: Türkische F-16-Kampfjets kamen hierher aufgrund einer Militärübung und sie sind geblieben, weil die Armenier uns angegriffen haben. Und sie sind hier als Zeichen der Solidarität. Sie nehmen an keinen Kämpfen teil und es ist auch nicht geplant, dass diese teilnehmen.

ARD: Dreimal wurden Waffenruhen gebrochen. Eine wurde von Frankreich ausgehandelt, eine von Russland und eine von den USA. Welche internationale Macht kann diesen Krieg noch stoppen?

Aliyev: Ich denke, Armenien sollte den Krieg stoppen. Die internationalen Mächte, diese drei Länder, die Sie genannt haben, sind Mitglieder der Minsk-Gruppe. Sie sind Weltmächte. Ständige Vertreter im UN-Sicherheitsrat. Diese Länder haben vier Resolutionen zugestimmt, die den Rückzug armenischer Truppen fordern. Aber diese Staaten haben nichts für die Umsetzung getan. Die Resolutionen gab es schwarz auf weiß. Das zeigt, dass diese Vermittlungen nichts gebracht haben. Andererseits können wir uns keine mächtigeren Länder vorstellen. Nur Armenien kann den Krieg beenden - indem es die Niederlage und unseren Sieg anerkennt. Und dann der Befreiung eines Teils der Gebiete zustimmt. Wir werden diese sowieso befreien. Die Armenier haben nicht geglaubt, dass wir zurückschlagen. Wir haben gesagt, wir werden jetzt das Land befreien.

Die Fragen stellte Oliver Mayer-Rüth, ARD-Studio Istanbul.

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Das Interview führte Oliver Mayer-Rüth, BR