Hintergrund Al Kaida Die "Franchise"-Terroristen

Stand: 11.09.2011 12:16 Uhr

Mit den Anschlägen am 11. September 2001 auf das World Trade Center versetzte die Terror-Organisation Al Kaida die westliche Welt in Schrecken. Zehn Jahre später ist der Anführer Bin Laden tot, wichtige Basen der Organisation sind zerstört. Aber was genau ist Al Kaida und wie aktiv ist die Organisation heute?

Von Nadine Thielen für tagesschau.de

Seit dem 11. September 2001 ist Al Kaida weltbekannt - und doch sind ihre Strukturen schwer zu fassen. Denn die Organisation stellte damals eine ganz neue Form des Terrorismus dar. Sie agiert nicht wie andere Terrorgruppen begrenzt in einem bestimmten Gebiet, sondern global.

Dabei war Al Kaida zunächst aus einem regionalen Konflikt entstanden: dem sowjetisch-afghanischen Krieg in den 1980er-Jahren. Die afghanischen Mudschaheddin, zu deutsch "die Gotteskrieger", kämpften damals mit Unterstützung der USA gegen den Besatzer Sowjetunion.

Bin Laden baute Al Kaida während des Krieges auf

Die Mudschaheddin deuteten den Kampf gegen die Sowjets als "heiligen Krieg", als Dschihad. Dabei beriefen sie sich unter anderem auf die Lehre des palästinensischen Theologen Abdullah Azzam, der beispielsweise den Selbstmordanschlag zum Martyrium glorifizierte. Unter Azzams Anhängern war auch der wohlhabende Saudi-Araber Osama Bin Laden. Angetrieben von Azzams Ideologie errichtete Bin Laden militärische Ausbildungslager für die Mudschaheddin. Araber aus der ganzen Welt strömten in die Lager an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Gemeinsam besiegten sie die Sowjetunion. Aus dem Netzwerk zur Unterstützung der islamischen Opposition entwickelte sich Bin Ladens Al Kaida, was übersetzt Basis, Fundament oder Stützpunkt bedeutet.

Ziel war der Sturz der arabischen Regime

Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik befasst sich seit Jahren mit der Terror-Organisation und ihrer Entwicklung. "Ihr Ziel war zunächst der Sturz der Regime in den arabischen Ländern Ägypten und Saudi-Arabien. Weil das in den 90er-Jahren aber nicht gelungen war, haben sie sich den wichtigsten Unterstützer der Ägypter und auch der Saudis vorgenommen, nämlich die USA", sagt Steinberg im Gespräch mit tagesschau.de. Der saudische König hatte die Hilfe von Bin Laden und seinen Mudschaheddin während des zweiten Golfkriegs abgelehnt. Stattdessen kooperierte das Königshaus mit den USA. Tief gekränkt brach Bin Laden mit seiner Heimat: 1991 wurde er aus Saudi-Arabien ausgewiesen.

Damit begann der Aufbau der heutigen Al Kaida. Nach einem kurzen Aufenthalt im Sudan gewährte Afghanistan dem Al-Kaida-Führer Unterschlupf. Die radikal-islamistische Taliban hatte nach dem sowjetisch-afghanischen Krieg große Teile des Landes erobert. Von hier aus konnte Bin Laden seine terroristischen Anschläge planen.

Anschläge gegen den Westen

1993 wurde Al Kaida bereits für einen Anschlag auf das World Trade Center mitverantwortlich gemacht. Eine Bombe explodierte in der Tiefgarage, sechs Menschen kamen ums Leben. Durch die Attentate auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im Jahr 1998 gelangte Bin Laden zu immer größerer Bekanntheit. 224 Menschen kamen dabei ums Leben. Spätestens aber seit dem 11. September 2001 ging das Bild des Drahtziehers Bin Laden um die Welt: Die Anschläge auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon in Washington, bei denen fast 3000 Menschen starben, machten ihn zum meistgesuchten Terroristen weltweit.

Schon einen Monat später griffen vor allem US-amerikanische und britische Truppen Afghanistan an und zerstörten gemeinsam mit der NATO wichtige Stützpunkte von Taliban und Al Kaida. Weitere Anschläge verhinderte das aber zunächst nicht: So ist Al Kaida vermutlich verantwortlich für den Anschlag in Madrid, bei dem 2004 vier Züge in die Luft gesprengt wurden. Fast 200 Menschen starben, mehr als 1500 wurden verletzt. Und auch der Anschlag auf die Londoner U-Bahn im Jahr 2005, bei dem 52 Menschen ums Leben kamen, wird oft in Verbindung mit Al Kaida gebracht - auch wenn bis heute nicht klar ist, wer für die Tat verantwortlich ist.

Bin Ladens Tod schwächt Al Kaida

Erst 2011 gelang es, Al Kaida entscheidend zu schwächen: In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 spürte ein US-Kommando den Al-Kaida-Anführer Bin Laden im pakistanischen Abbottabad auf und tötete ihn.

Sein Nachfolger soll der Ägypter Aiman Al Sawahiri sein, der schon mit Bin Laden gegen die Sowjets gekämpft hatte. Dessen Bedeutung schätzt der Terrorismus-Experte der ARD, Joachim Hagen, im Gespräch mit tagesschau.de allerdings gering ein: "Es ist schon seit langem so, dass Al Kaida nicht mehr eine durchstrukturierte Organisation ist mit einem Chef oben, der seine Anweisungen gibt." Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht das ähnlich: "Die Al-Kaida-Zentrale in Pakistan wird Schwierigkeiten haben zu überleben, weil fast das gesamte Führungspersonal in den letzten zwei bis drei Jahren getötet oder verhaftet wurde."

Arabische Revolutionen schwächen und stärken Al Kaida gleichzeitig

Zudem schwächen die Revolutionen in der arabischen Welt die Terroristen-Organisation. "Der arabische Frühling macht klar, dass Al Kaida politisch irrelevant ist und gerade eines ihrer wichtigsten Ziele, nämlich den Sturz in Ägypten, nicht erreichen konnte und dabei überhaupt keine Rolle gespielt hat", sagt Steinberg. Andererseits hätten die Entwicklungen in der arabischen Welt aber auch für Antrieb der einzelnen Splittergruppen von Al Kaida gesorgt: "Jetzt haben sich die Operationsbedingungen für Al Kaida in vielen Ländern wieder verbessert, weil ihre wichtigsten Gegner, also Mubarak, Ben Ali oder Saleh im Jemen ausgefallen sind. Beispielsweise im Jemen ist Al Kaida im vergangenen halben Jahr deutlich erstarkt. Und auch die Operationsbedingungen für die Algerier haben sich durch den Bürgerkrieg in Libyen enorm verbessert."

Al Kaidas Struktur ist schwer zu durchschauen

Solche Splittergruppen verdeutlichen, wie schwer die Struktur von Al Kaida zu fassen ist. Während die jemenitische Al Kaida noch enge Kontakte zur pakistanischen Zentrale haben soll, gelten vor allem Al Kaida im Irak und Al Kaida in Algerien als weitestgehend unabhängig. Für den ARD-Terrorisimus-Experten Hagen wird im Namen Al Kaidas ein Terroranschlag oft nur deshalb begangen, "weil sie gemerkt haben, dass sie mit ihrem eigenen Namen weniger Aufmerksamkeit genießen."

Was als Netzwerk von islamischen Oppositionellen im Krieg in Afghanistan begonnen hat, definiert Hagen heute nicht einmal mehr als Netzwerk: "Al Kaida ist eher eine Art Franchise-Organisation, wo man einfach nur den Namen annimmt, um damit bestimmte Ideale oder bestimmte Ziele zu signalisieren."