Fragen & Antworten

"Wahlweise bei Bundeswehr": Politik bastelt an sozialer Pflichtzeit

Ein junge Frau im freiwilligen sozialen Jahr malt mit Kindern in einer Kita.
Auch in den Kitas kommen viele junge Menschen zum Einsatz, die Freiwilligendienste leisten. Bild: dpa | Waltraud Grubitzsch

Die CDU und Teile der SPD wollen eine soziale Pflichtzeit. Sie soll die Bundeswehr und soziale Einrichtungen stärken. Die Freiwilligen-Agentur Bremen hält nichts davon.

Die Idee ist nicht neu: Schon seit März 2011, seit der Bund die Wehrpflicht ausgesetzt hat, fordert immer mal wieder irgendwer eine soziale Pflichtzeit für alle jungen Erwachsenen, eine Mischung aus Wehr- und Zivildienst früherer Zeiten. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Debatte Fahrt aufgenommen: zum einen mit Blick auf die vermeintlich fragile Sicherheit Europas, zum anderen wegen des Arbeitskräftemangels in sozialen Berufen. Lassen sich mit einer sozialen Pflichtzeit für alle jungen Menschen beide Probleme zugleich lösen?

Das glaubt offenbar zumindest SPD-Chef Lars Klingbeil. Nach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich auch Klingbeil kürzlich für einen neuen Pflichtdienst in Deutschland ausgesprochen – ob bei der Bundeswehr, im sozialen oder im kulturellen Sektor. Noch im laufenden Quartal möchte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen Vorschlag dazu vorlegen, wie dieser Pflichtdienst aussehen könnte.

Die CDU fordert unterdessen gar ein ganzes "verpflichtendes Gesellschaftsjahr", das "wahlweise auch bei der Bundeswehr" geleistet werden könne. Im grün geführten Bundesfamilienministerium sowie bei Bremer Akteuren aus dem Freiwilligendienst stößt die Idee allerdings auf große Skepsis. Das steckt hinter der Debatte um die soziale Pflichtzeit:

Zwei junge Menschen pflanzen unter Anleitung Bäume im Rahmen eines freiwilligen ökologischen Jahres
Wer einen Freiwilligendienst absolvieren möchte, kann dies auch im Umwelt- und Naturschutz tun und zum Beispiel Bäume pflanzen. Bild: dpa | Patrick Pleul

Im Sozialen mangelt es an Arbeitskräften. Könnte eine soziale Pflichtzeit für junge Erwachsene dabei helfen, den sozialen Sektor zu stärken?

"Ja", sagt etwa Stefan Ruwwe-Glösenkamp, Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion: "Unser Staat lebt vom Engagement seiner Bürger, die für das Gemeinwohl eintreten. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr hätte viele Vorteile: mehr Miteinander, Einblicke in andere soziale Milieus, eine Stärkung der Persönlichkeit und die Entlastung sozialer Einrichtungen."

"Nein", sagt Nadine Portillo, Geschäftsführerin beim Sozialen Friedensdienst Bremen, Träger der Freiwilligen-Agentur Bremen. Zumindest dürfe eine soziale Pflichtzeit nicht dazu führen, dass reguläre Stellen im sozialen Sektor durch Pflichtdienstleistende besetzt und somit letztlich eingespart würden.

Gleiches gelte derzeit auch für die Freiwilligendienste. Daher schreibe der Gesetzgeber vor, dass Freiwillige "arbeitsmarktneutral" eingesetzt werden müssten. "Sie sollen keine regulären Arbeitskräfte ersetzen. Daher dürfen sie auch nicht wie Auszubildende oder gar wie fertig ausgebildete Arbeitskräfte eingesetzt werden." Statt Freiwillige auszubeuten, sollten Unternehmen, die Freiwillige beschäftigen, Zeit in diese jungen Menschen investieren, um sie idealerweise langfristig für soziale Arbeit zu begeistern und auf entsprechende Ausbildungen und Studiengänge vorzubereiten.

Frau gehobenen mittleren Alters mit Halstuch vor Mauer lächelt für Foto in die Kamera
Zweifelt an der Sinnhaftigkeit eines neuen sozialen Pflichtdiensts in Deutschland: Nadine Portillo. Bild: Nadine Portillo

Wie stehen die Sozialverbände zu einer möglichen sozialen Pflichtzeit in Deutschland?

Andrea Nacke, Leiterin Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Niedersachsen-Bremen, steht der Idee einer sozialen Pflichtzeit positiv gegenüber. Daraus ergäben sich "vielseitige Möglichkeiten", sagt sie: "Jeder kann der Gesellschaft etwas zurückgeben." Allerdings betont auch sie: Man müsse darauf achten, dass die sozialen Pflichtdienstler nicht ausgenutzt werden.

Ähnlich äußert sich Joachim Wittrin, Vorsitzender des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Bremen. Er sagt: "Grundsätzlich steht der SoVD der Idee offen und positiv gegenüber. So etwas kann für junge Menschen eine gute Gelegenheit zur Berufsorientierung sein – gerade auch für soziale Jobs wie im Gesundheits- oder Pflegebereich."

Allerdings warne der SoVD davor, auf diese Weise Löcher stopfen zu wollen, die durch Stellenmangel im sozialen Sektor entstanden seien. "Um diese Probleme zu lösen, braucht Deutschland langfristige Konzepte und ein zukunftsorientiertes Umdenken. Denn aufgrund des demografischen Wandels benötigen wir schlichtweg deutlich mehr qualifiziertes Personal und eine höhere Anerkennung für diese Berufe", so Wittrin.

Wäre es verfassungsrechtlich überhaupt möglich, eine soziale Pflichtzeit für junge Erwachsene in Deutschland einzuführen?

Das hängt offenbar davon ab, wie genau man diese soziale Pflichtzeit definieren würde. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn, betont, dass die Wehrpflicht 2011 lediglich ausgesetzt, nicht abgeschafft worden sei. Jetzt komme es darauf an, sie schrittweise zu reaktivieren. Tatsächlich lässt das Bundesverteidigungsministerium um Boris Pistorius (SPD) bereits verschiedene Modelle der Wehrpflicht prüfen – und damit auch verschiedene Varianten sozialer Pflichtdienste.

Dominik Lenz, Sprecher von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), teilt dennoch mit, dass sein Ministerium zumindest "verfassungsrechtliche Bedenken" gegen eine soziale Pflichtzeit habe. Darüber hinaus vertrete sein Ministerium die Auffassung: "Eigeninitiative, Mitgestaltung und Beteiligung aller Altersgruppen in der Zivilgesellschaft sollten nicht erzwungen werden. Freiwilligkeit ist eine zentrale Motivation für das Engagement."

Welche Alternative, um den sozialen Sektor zu stärken, gäbe es zur sozialen Pflichtzeit?

Die Sozialverbände sowie Nadine Portillo vom Sozialen Friedensdienst Bremen finden, dass die Politik mehr unternehmen müsse, um soziale Arbeit attraktiver zu machen. Freiwilligendienste böten eine gute Gelegenheit, um jungen Menschen entsprechende Tätigkeiten schmackhaft zu machen. Umso sinnvoller wäre es, Freiwilligendienste aufzuwerten und so noch mehr Menschen als derzeit dafür zu begeistern.

"Man könnte zum Beispiel das Taschengeld für die jungen Menschen von 350 bis 500 Euro monatlich deutlich erhöhen", schlägt Portillo vor. Um zudem junge Menschen für Freiwilligendienste zu gewinnen, die keine wohlhabenden Eltern im Rücken hätten und die nicht während ihres Freiwilligendienstes bei den Eltern wohnen wollten, sei es zudem wichtig, günstigen Wohnraum für sie bereit zu halten. "Ähnlich wie Studentenwohnheime", so Portillo.

Tatsächlich hatte die Ampel im Bund wegen der Haushaltskrise für 2024 entgegen der Koalitionsvereinbarung allerdings keine zusätzlichen Investitionen, sondern Kürzungen bei den Freiwilligendiensten geplant – und diese Pläne erst nach massiven Protesten zurückgezogen.

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. Mai 2024, 19:30 Uhr